Donald Trump liest keine Bücher

Der gebürtige Australier und Cambridge-Professor, Christopher Clark, gehört zu den bekanntesten Historikern unserer Zeit. Er hat jetzt ein neues Buch über Zeit und macht geschrieben. Ein Gespräch über die "Machthaber" unserer Zeit - von Donald Trump bis Angela Merkel - und warum die gesellschaftliche Mitte Flagge gegen den aufkommenden Populismus zeigen muss.

 

Herr Clark, Sie haben ein Buch über Zeit und Macht geschrieben. Was haben Sie dabei herausgefunden? In welcher Beziehung stehen beide Phänomene zueinander?

 

CHRISTOPHER CLARK: Zeit war für Machthaber immer ein wichtiges Moment. So wollten zum Beispiel die linken Protagonisten der französischen Revolution den gregorianischen Kalender verändern. Sie wollten weg von dem christlichen Kalender, der vom Vatikan unter Papst Gregor XIII. eingeführt wurde und den julianischen Kalender ablöste. Die französischen Revolutionäre hatten sogar schon neue Kalendernamen entworfen. Und Stalins Russland verfolgte die Idee eine 10-Tage-Woche einzuführen. Letztlich wollen alle Machthaber ihre Signatur, ihren Fingerabdruck für ihre jeweilige Epoche hinterlassen. Sie wollen sich einbetten in die Geschichte.

 

Lassen Sie uns einen Blick in die neuere Geschichte werfen. Wie ordnete sich zum Beispiel ein „Machthaber“ wie der US-Präsident Donald Trump in „seine Zeit“ ein?

 

CLARK: Eine Vorbemerkung: Trump ist ein Mensch, der keine Bücher ließt und geistig extrem faul ist. Als Steve Bannon noch quasi Chefideologe im Weißen Haus war herrschte ein Geschichtsverständnis vor, das sich an dem Buch „The Fourth Turning („Vierte Wendung“) von William Strauss und Neil Howe orientierte. In dem Buch, das in Mitte der 1990er-Jahre erschienen ist, beschreiben die Autoren die Geschichte der Welt im Wandel von vier Generationen im Einfluss auf Wirtschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft. Solch ein Geschichtsverständnis ist für mich vormodern, okkultistisch und mystisch. Alles in allem das Gegenteil von rational.

 

Ist also Trump der historische Gegenentwurf zu den bisherigen amerikanischen Präsidenten?

 

CLARK: Trump ist der erste Präsident der modernen Zeit in den USA, der die Vereinigten Staaten nicht als Vorreiter der Moderne sieht. Er spricht von Amerika, als einem gebrochenen, ausverkauften und verratenen Land. Schuld sind die Europäer und die Chinesen. Trump spricht von Amerika wie die AfD von Deutschland. Die spricht von einer links-rot-versifften Republik. Beide sehen die Zukunft ihrer Länder über den Weg der Vergangenheit. Das ist kein vielversprechendes Geschichtsbild.

 

Und wie ist das Geschichtsbild des französischen Präsidenten Macron?

 

CLARK: Macron ist ein sehr zeitbewusster Mensch, wenn er feststellt, dass Europa unser Horizont ist, uns schützt und unsere Zukunft gewährleistet. Und er hat auch recht, wenn er sagt, dass sich das Haus Europa nicht von selbst baut. Wer so denkt, der wird in der Vergangenheit landen und die Vergangenheit wird dann die Gegenwart einholen. Macron fordert uns auf, die Zukunft neu zu konstruieren und neu zu besetzen. Wenn wir das nicht tun, sind die Menschen verunsichert.

 

Was unterscheidet die deutsche Kanzlerin Angela Merkel vom französischen Präsidenten?

 

CLARK: Frau Merkel gehört politisch einer anderen Generation an als Macron. Und das liegt nicht nur an ihrem Geburtsdatum. Sie kam an die Macht als Deutschland in der Krise war. Ihre Signatur ist die Verlangsamung der Politik. Durch ihre Ruhe und ihre Stille hat sie Krisen gemeistert. Ich bin der Überzeugung, dass die Geschichte positiv über Frau Merkel urteilen wird, denn sie hat in schwierigen Zeiten Bodenständigkeit und Verlässlichkeit vermittelt, wo andere vielleicht in panikartigen Alleingängen verfallen wären.

 

Diese „bodenständige“ Politikstil von Frau Merkel hat aber nicht nur Vorteile ...

 

CLARK: ... mir als Außenseiter fällt auf, dass um sie herum als ruhig wird. Vielleicht konnte sich deshalb auch kein Nachfolger neben ihr entwickeln. Das ist der Nachteil dieser Art zu führen. Aber mit ihrer Zuverlässigkeit und Beständigkeit hat Frau Merkel unglaubliches Zutrauen aufgebaut. 

 

Wie ist es um das Geschichtsbewusstsein der Kanzlerin bestellt?

 

CLARK: Frau Merkel hat zu Ihrer Party, als sie ihren 60. Geburtstag feierte, den Historiker Jürgen Osterhammel als Festredner eingeladen. So eine Einladung lässt jedes Historikerherz höher schlagen. Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble liest ständig in Geschichtsbüchern. Das zeigt, wie geschichtsbewusst beide sind. Sie bringen damit die Historie ins politische Alltagsgeschäft. Frau Merkel und Herr Schäuble sind somit das Gegenteil von Donald Trump, der die schnelle Gegenwart des Tweets (Kurznachricht) sucht.

 

Bei den Populisten in Europa kommt Trump gut an. Was hat die Populisten auf dem „alten Kontinent“ so erfolgreich gemacht?

 

CLARK: Den Aufstieg des Populismus dürfen wir nicht monokausal betrachten, aber die Finanzkrise von 2008 war sicher ein Auslöser des Populismus in Europa. Ein Riss ging vor zehn Jahren durch die Öffentlichkeit. Durch das Scheitern der Finanzeliten war das Vertrauen der Menschen erschüttert. 

 

Was gibt es jetzt zu tun?

 

CLARK: Die Demokratie ist schon gefährdet. Es gibt viele Alarmzeichen. Die gesellschaftlich Mitte sollte sich an Deck begeben und für den Erhalt der Demokratie Flagge zeigen. Ich glaube nicht, dass die Menschen gegen den Kapitalismus kämpfen, aber für ein Gesellschaftsmodell, in dem der Einzelne bestimmen kann, was mit ihm geschieht. mei

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Christopher_Clark

 

Persönlich: Christopher Clark (Jahrgang 1960) ist Australier und Geschichts-Professor an der Universität in Cambridge. Seine Forschungsschwerpunkte sind Preußen und der 1. Weltkrieg.

 

Lesen: Von Zeit und Macht. Herrschaft und Geschichtsbild vom Großen Kurfürsten bis zu den Nationalsozialisten. Deutsche Verlagsanstalt (DVA), München 2018, ISBN: 978-3-421-04830-1"

 

English version

 

Australian-born and Cambridge professor Christopher Clark is one of the best-known historians of our time. He has now written a new book on time and power. A conversation about the "rulers" of our time - from Donald Trump to Angela Merkel - and a look at the strategies of historical rulers. 

 

Mr Clark, you have written a book about time and power. What did you find out? What is the relationship between the two phenomena?

 

CHRISTOPHER CLARK: Time has always been an important moment for rulers. For example, the left protagonists of the French Revolution wanted to change the Gregorian calendar. They wanted to move away from the Christian calendar introduced by the Vatican under Pope Gregory XIII, which replaced the Julian calendar. The French revolutionaries had even created new calendar names. And Stalin's Russia had the idea of introducing a 10-day week. In the end all rulers want to leave their signature, their fingerprint for their respective epoch. They want to embed themselves in history.

 

Let's take a look at recent history. How, for example, did a "ruler" like US President Donald Trump fit into "his time"?

 

CLARK: A preliminary remark: Trump is a person who doesn't read books and is extremely lazy mentally. When Steve Bannon was still a kind of chief ideologist in the White House, an understanding of history prevailed that was based on the book "The Fourth Turning" by William Strauss and Neil Howe. In the book, which was published in the mid-1990s, the authors describe the history of the world in the course of four generations influencing the economy, politics, culture and society. For me, such an understanding of history is pre-modern, occultist and mystical. All in all, the opposite of rational.

 

So is Trump the historical counter-draft to the previous American presidents?

 

CLARK: Trump is the first president of modern times in the United States who does not see the United States as a pioneer of modern times. He speaks of America as a broken, sold out and betrayed country. It is the Europeans and the Chinese who are to blame. Trump speaks of America like the AfD speaks of Germany. It speaks of a left-wing, red-religious republic. Both see the future of their countries via the path of the past. This is not a promising historical picture.

 

And what is the historical picture of French President Macron?

 

CLARK: Macron is a very time-sensitive person when he states that Europe is our horizon, protects us and guarantees our future. And he is also right when he says that the House of Europe is not building itself. Those who think so will end up in the past and the past will catch up with the present. Macron is asking us to rebuild and reoccupy the future. If we do not, people will be insecure.

 

What is the difference between German Chancellor Angela Merkel and French President?

 

CLARK: Mrs Merkel belongs politically to another generation than Macron. And that's not just because of her date of birth. She came to power when Germany was in crisis. Her signature is the slowing down of politics. Through her calm and silence she has mastered crises. I am convinced that history will judge Ms Merkel positively, because in difficult times she has conveyed down-to-earthness and reliability, where others might have fallen into panicky solo movements.

 

But Mrs Merkel's "down-to-earth" political style not only has advantages ...

 

CLARK: ... As an outsider, it strikes me that she is being quiet around her. Maybe that's why no successor was able to develop alongside her. That's the disadvantage of leading this way. But with her reliability and consistency Ms Merkel has built up incredible confidence. 

 

What about the Chancellor's historical awareness?

 

CLARK: Mrs. Merkel invited the historian Jürgen Osterhammel to her party when she celebrated her 60th birthday. Such an invitation makes every historian's heart beat faster. Wolfgang Schäuble, President of the Bundestag, also reads history books all the time. This shows how history-conscious both are. In doing so, they bring history into everyday political business. Mrs. Merkel and Mr. Schäuble are thus the opposite of Donald Trump, who is looking for the fast presence of the tweet.

 

Trump is well received by populists in Europe. What made the populists on the "old continent" so successful?

 

CLARK: The rise of populism must not be considered monocausal, but the financial crisis of 2008 was certainly a trigger for populism in Europe. A rift went through the public ten years ago. The failure of the financial elites shattered people's confidence. 

 

What is to do now?

 

CLARK: Democracy is already at risk. There are many alarm signals. The social centre should go on deck and fly the flag for the preservation of democracy. I don't believe that people are fighting against capitalism, but for a model of society in which the individual can determine what happens to him. mei