Immer mehr Gewalt gegen Einsatzkräfte

Die Gewalt gegenüber Einsatz- und Rettungskräften nimmt immer mehr zu. Warum ist das so? Ein Gespräch mit dem Psychologen Lars Hölzel über ein brisantes Thema.

 

Herr Hölzel, immer mehr Einsatz- und Rettungskräfte werden Opfer von Gewalt. Worauf führen Sie das zurück?

 

LARS HÖLZEL: Diese gesellschaftliche Entwicklung ist besorgniserregend. Insgesamt ist ein Verlust von Respekt und Anerkennung gegenüber öffentlich Beschäftigten als Repräsentanten der Gesellschaft beziehungsweise des Staates zu beobachten. Bürger, die sich von der Gesellschaft abgehängt fühlen und enttäuscht sind, spielen hier sicherlich eine wichtige Rolle. Hinzu kommt die Polemisierung und Polarisierung der gesellschaftlichen Debatten. In der aktuellen politischen Diskussion wird über Werte gestritten, die bislang als Wertekonsens galten. In diesem Werteverlust sehe ich einen Zusammenhang zur Bereitschaft, Einsatz- und Rettungskräfte zu attackieren, auch wenn mir hierzu bislang keine wissenschaftlichen Studien bekannt sind.

 

Sicherheit ist ein Menschenrecht, sagt Horst Seehofer. Wie sicher ist Deutschland?

 

HÖLZEL: Ich halte Deutschland für ein sehr sicheres Land. Auch die offiziellen Statistiken weisen in diese Richtung. So ist die Anzahl der registrierten Straftaten in Deutschland im Jahr 2017 gegenüber den Vorjahren gesunken. Durch eine erhöhte Berichterstattung und eine vermehrte Kommunikation in den neuen Medien ist die Wahrnehmung der Bevölkerung aber eine andere. Gleichzeitig wird das Thema von Politikern gerne instrumentalisiert, die in diesem Bereich ihre eigenen Kompetenzen sehen. Hier werden gerne Ängste geschürt, um sich dann als Problemlöser präsentieren zu können.

 

Was treibt Menschen dazu, Einsatzkräfte anzugreifen?

 

HÖLZEL: Einsatz- und Rettungskräfte kommen häufig in Extremsituationen zum Einsatz. Ein Familienstreit, ein Wohnungsbrand, ein medizinischer Notfall – das sind alles Stresssituationen. In solchen Momenten werden Notfallprogramme gestartet und ab einem bestimmten Erregungslevel sind Menschen häufig nicht mehr in der Lage, überlegt zu handeln. Je nach Situation und Temperament reagieren Menschen dann mit Angriff, Flucht oder Erstarrung.

 

Was haben Sie noch festgestellt?

 

HÖLZEL: Aktuelle Statistiken zeigen, dass ein erheblicher Teil der Angreifer unter Alkohol- oder Drogeneinfluss steht. Das ist ein wichtiger Faktor, der dazu führt, dass die Hemmschwelle für Gewalt sinkt und die Möglichkeit zu bewussten Entscheidungen abnimmt. Gewalt gegen Rettungskräfte tritt deshalb häufig bei der Diagnosestellung beziehungsweise der Behandlungsinitiierung ein und ist als eine Abwehr gegen eine Behandlung zu verstehen. Diese Reaktionen kennen Rettungskräfte schon lange. Neu ist dagegen die Zunahme der Angriffe auf Rettungskräfte durch Passanten oder andere Unbeteiligte. Hier scheinen andere Mechanismen zu greifen.

 

In welchen Situationen müssen Einsatzkräfte besonders vorsichtig sein?

 

HÖLZEL: Besondere Vorsicht ist immer dann geboten, wenn es sich um emotionale Ausnahmesituationen handelt, die Betroffenen sich bedroht oder in die Enge getrieben fühlen. Insgesamt sind Einsätze im städtischen Raum, bei Nacht, in sozialen Brennpunkten mit einem erhöhten Risiko verbunden. Eine erhöhte Gefahr geht von Männern mittleren Alters aus und wenn Alkohol oder Drogen im Spiel sind.

 

Fürchten diese Personen keine Strafen? Ist das Unrechtsbewusstsein so stark gesunken?

 

HÖLZEL: Ob eine Verschärfung der Strafen die richtige Antwort auf das Phänomen ist, wage ich zu bezweifeln. Natürlich sollte es auf derartiges Verhalten eine konsequente Antwort des Staates geben und es kann auch ein wichtiges Zeichen an die Opfer sein, wenn solche Taten offiziell sanktioniert werden. Durch die Verschärfung des Gesetzes zur „Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“ wird die Wahrnehmung der Helfer als Repräsentanten aber sogar noch weiter gestärkt. Dies könnte sich aus den bereits erwähnten Gründen als schwierig erweisen.

 

Welche Folgen haben solche Übergriffe bei den Opfern?

 

HÖLZEL: Polizist, Feuerwehrmann, Rettungssanitäter oder andere helfende Berufe ergreift man nicht wegen der Bezahlung. Die Einsätze sind teilweise mit einem hohen persönlichen Risiko und einem übermäßigen Einsatz verbunden. Eine sinnerfüllte Tätigkeit zum Wohl der Gesellschaft auszuüben, das spielt hier eine große Rolle. Dazu gehört auch die Anerkennung dieser Tätigkeit durch die Mitmenschen. Die Sinnerfüllung und der Respekt durch andere wirkt sozusagen als Gegengewicht zu den Belastungen und Anforderungen. Fällt diese Anerkennung weg, kann dies zu psychischen und körperlichen Krankheiten führen.

 

Wie können Sie als Therapeut den Betroffenen helfen?

 

HÖLZEL: Helfern, die aufgrund der oben beschriebenen Mechanismen in Not geraten sind, kann durch eine professionelle Therapie geholfen werden. In dieser wird zunächst die im Vordergrund stehende psychische Störung behandelt. Bei einer Depression spielt zum Beispiel das bewusste Erleben, dass die eigenen Handlungen geeignet sind, etwas Positives zu bewirken, eine entscheidende Rolle.

 

Wie sieht es mit der langfristigen Hilfe aus?

 

HÖLZEL: Um zu einem langfristigen Therapieerfolg zu gelangen, ist aber auch die Reflektion über die eigenen Belastungen und Ressourcen entscheidend. Welche Belastungen im Arbeitskontext kann ich reduzieren oder anders gesagt: welchen Ausgleich kann ich selbst für die Belastungen auf meiner Arbeit finden? Auch die Entwicklung einer eigenen Haltung gegenüber den Herausforderungen der Arbeitswelt stellt einen wichtigen Inhalt der Behandlung dar. Bei einer Traumatherapie sind die Auswirkungen des Traumas auf mein Selbst- und Weltbild ein zentraler Punkt. Das traumatische Ereignis muss dabei auf angemessene Weise in die eigene Weltsicht und die Ursachen des Traumas integriert werden. mei