Parteien setzen den Willen des Volkes nicht um

Hans Herbert von Arnim gilt als einer der wichtigsten Parteienkritiker in Deutschland. Ein Gespräch über Volksparteien und den Willen des Volkes.

 

Herr Professor von Arnim, in Ihrem Buch („Die Hebel der Macht“) gehen Sie mit unseren Parteien und Politikern hart ins Gericht. Was gefällt Ihnen nicht?

 

HANS HERBERT VON ARNIM: Da fällt mir als Beispiel das „Blitzgesetz“ im Baden Württembergischen Parlament ein. Hier wollte die Abgeordneten im medialen Fahrwasser der Bundespräsidentenwahl innerhalb von drei Tagen ein Diätengesetz in eigener Sache durchpeitschen. Teile dieser für Abgeordneten positiven Regelungen mussten nach öffentlichen Protesten zurückgenommen werden. So etwas ist für mich ein Zeichen für die Arroganz der Macht.

 

Kann man vor dem Hintergrund dieses Beispiels eigentlich noch von einer Herrschaft des Volkes sprechen?

 

VON ARNIM: Wenn man genau hinschaut, wohl nicht mehr. Die Eigeninteresse der Politiker und Parteien gehen immer mehr vor. Unsere Parteien nehmen mittlerweile eine dominante Rolle ein. Sie sind die eigentlichen Träger der Macht. Politiker und Parteien sitzen an den entscheidenden Hebel und sie können für alle verbindliche Entscheidungen treffen. Diese können sie mit Hilfe des Gewaltmonopols des Staates auch umsetzen.

 

Wie konnte es zu der Machtfülle der Parteien kommen?

 

VON ARNIM: Die Institutionen, die der Macht der Parteien Grenzen setzen sollten, sind im Laufe der Jahrzehnte geschwächt oder abgeschafft haben worden. Dadurch konnten die Parteien ihre Interessen immer besser durchsetzen.

 

Könnten denn nicht Volksparteien, wie die CDU und SPD, aus ihrem Statuts bestimmte Rechte ableiten?

 

VON ARNIM: Die Parteien haben, so steht es auch im Grundgesetz, an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken und nicht die Willensbildung im Staat zu dominieren. Zu den Volksparteien SPD und CDU bleibt festzustellen, dass diese Parteien in den letzten Jahrzehnten die Hälfte ihrer Mitglieder verloren haben. Infolgedessen sind sie zu Kartellparteien geworden. Sie bilden, wenn es um wichtige Dinge geht, wie zum Beispiel Wahlrecht, Ämterpatronage und direkte Demokratie geht, ein politisches Kartell. Ihr Ziel ist es, ihre Macht nach Außen abzuschotten. Darüber hinaus wollen sie ihre Macht weiter ausbauen.

 

Welchen Einfluss hat die Macht der Parteien auf die Gewaltenteilung?

 

VON ARNIM: Eigentlich sollte das Parlament die Regierung kontrollieren. De facto ist es aber so, dass die Mehrheit im Parlament, sie hat ja die Regierung gewählt, diese verteidigt und sie gegenüber der Minderheit schützt. Die Folge ist, dass das Parlament nicht mehr die Regierung kontrolliert, sondern sie stützt. Ein Beispiel sind die Misstrauensanträge. Diese sind das schärfste Instrument, um die Regierung zu kontrollieren. Diese degenerieren aber regelmäßig zu einem öffentlichen Spektakel, bei denen die Regierungsparteien der Regierung immer das das Vertrauen aussprechen. So wurde der rheinland-pfälzischen Regierung von Malu Dreyer von der Mehrheit im Parlament das Vertrauen ausgesprochen, obwohl diese für den blamablen Verkauf des Flughafens Hahn verantwortlich vor. Und der Ex-Ministerpräsident Kurt Beck hatte Millionen am Nürburgring versenkt. Auch das Misstrauensvotum gegen ihn scheiterte natürlich. Diese Ereignisse beweisen, dass die Regierungen in der Bundesrepublik nicht mehr wirksam kontrolliert werden.

 

Wie steht es um den Parteienwettbewerb in Deutschland?

 

VON ARNIM: Bei uns findet eine Angleichung der Parteien statt. Die CDU unter Angela Merkel ist in die linke Mitte gerückt. Letztlich sind die Christdemokraten sozialdemokratisiert worden. Prinzipiell sind die SPD, CDU aber auch die Grünen schwer für den Wähler unterscheidbar. Hinzu kommt noch, dass die Parteien vor Wahlen nicht mehr sagen, mit wem sie koalieren wollen. Das macht den Wählern auch die Entscheidung schwer, denn er am Ende kommt eine Koalition zustande, die er nicht will. Auch haben kleine Parteien großen Einfluss auf politische Entscheidungen. So sind die Grüne in acht Landesregierungen vertreten und haben somit ein Vetorecht im Bundesrat. Aufgrund des Vetorechts kann diese kleine Partei BR-Beschlüsse torpetieren. Damit wird das Wahlrecht schlicht und ergreifend beeinträchtigt.

 

Große Koalitionen gelten in der Politik als Ultima Ratio. Was halten Sie von solchen Konstellationen?

 

VON ARNIM: Das Problem ist hier, dass beide Partner für die Politik verantwortlich sind. Der Wähler kann in diesem Fall eine aus seiner Sicht schlechte Politik nicht mehr bestrafen. Ihm bleiben dann nur noch die Wahl von Alternativ-Parteien.

 

Unsere Parteiendemokratie hat auch den Berufspolitiker hervorgebracht. Wie schädlich ist diese Entwicklung?

 

VON ARNIM: Berufspolitiker beeinträchtigen die demokratische Willensbildung. Berufspolitiker, die vollkommen von ihrer Partei abhängig sind, fallen ins berufliche Nichts, wenn sie nicht mehr zur Wahl aufgestellt werden. Deshalb sind diese quasi aus beruflichen Gründen gezwungen, immer mit dem Strom zu schwimmen. Dass mag auch der Grund sein, dass es immer weniger Querköpfe in der Politik gibt, wie beispielsweise Bosbach und Gauweiler.

 

Was muss sich ändern, damit die Parteien nicht vollständig die Herrschaft übernehmen?

 

VON ARNIM: Erst einmal müssen die starren Wahllisten beseitigt werden, wir aufgenötigt. Der Wähler sollte die Möglichkeit haben, Personen zu wählen. Außerdem sollte es möglich sein, dass der Bundespräsident und die Ministerpräsidenten direkt vom Volk gewählt werden. Das sind Elemente einer direkten Demokratie. Außerdem fände ich es bedenkenswert, wenn sich die Zahl der Bundestagsabgeordneten nach der Wahlbeteiligung zusammensetzt. In der Weimarer Republik wurde dieses System schon einmal angewendet. mei

 

Buchhinweis: Hans Herbert von Arnim, Die Hebel der Macht: und wer sie bedient - Parteienherrschaft statt Volkssouveränität, Heyne Verlag, München 2017, 448 Seiten, 21,99

 

Personalie: Hans Herbert von Arnim (Jahrgang 1939) leitete nach der Promotion in Heidelberg zehn Jahre lang das wissenschaftliche Institut des Bundes der Steuerzahler in Wiesbaden. Nach der Habilitation in Regensburg lehrte er an den Universitäten München und Marburg. Heute ist er Professor an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Sein Thema sind Grundfragen von Staat und Gesellschaft, was direkte Einmischung in die Politik aber nicht ausschließt. Viele seiner Bücher waren Bestseller: "Staat ohne Diener", "Fetter Bauch regiert nicht gern", "Der Staat als Beute", "Diener vieler Herren".