Keine neuen Pendlerströme produzieren

Herr Kramer, Wohnen und Umweltschutz können Konflikte auslösen. Wie zum Beispiel am geplanten neuen Frankfurter Stadtteil an der A5, die nach dem Namen des Planungsdezernenten, Mike Josef,,  „Josefstadt“ getauft wurde. Was hält der BUND von diesem Projekt. 

 

JOCHEN KRAMER: Der BUND lehnt die bisher vorgelegte Stadtteilplanung an der A 5 ab. Dabei kann bei der geplanten Stadterweiterung „Josefstadt“ im eigentlichen Sinne nicht von einem Stadtteil gesprochen werden, da mitten durch die Siedlungsplanung mit der A 5 eine zehnspurige Autobahn führen würde.

 

Was stört Sie noch?

 

KRAMER: Hinzu kommen oberirdische Starkstromleitungen, die mitten durch das Gebiet der geplanten Stadterweiterung führen und zu denen die Landesregierung im Landesentwicklungsplan zum Schutz der Bevölkerung zu Recht einen Mindestabstand der Bebauung von 400 Metern zu beiden Seiten vorschreibt.

 

Aber der Frankfurter Planungsdezernent Josef verspricht sich dadurch eine Entlastung der Wohnungsprobleme der Finanzmetropole ...

 

KRAMER: Die Planung einer Stadterweiterung an der A5 löst kurzfristig keine Wohnungsprobleme, da deren Realisierungsmöglichkeit nicht innerhalb der nächsten zehn Jahre möglich sein wird. Zudem sollten die Wohnungsprobleme nicht dadurch gelöst werden, indem der Mensch seine natürlichen Existenzgrundlagen zubaut, sondern Alternativen berücksichtigt werden.

 

Das heißt?

 

KRAMER: Im Hinblick auf den Klimawandel, haben die offenen Ackerflächen im Norden Frankfurts eine ökologisch besonders wichtige Bedeutung, da sie erhebliche Mengen CO2 und Wasser speichern. Das dort versickerte Wasser wird im Wasserschutzgebiet als Trinkwasser aufbereitet, was eine Bebauung nach Ansicht des BUND dort nicht zulässt.

 

Was bedeutet denn ein solches Großprojekt für den Klimawandel?

 

KRAMER: Bei der geplanten Stadterweiterung an der A 5 würden mehr als 200 Hektar offener Bodenfläche versiegelt, die für Frankfurt gerade in Zeiten des Klimawandels klimatisch sehr bedeutsam sind. Damit würde sich die gesundheitliche Belastung der Stadtbewohner erhöhen. Als Kaltluftentstehungsgebiete, sowie für die Hangwinde aus dem Taunus, wurden diese Freiflächen in der Vergangenheit nicht bebaut, damit keine Barrieren den kühlenden Frischluftdurchfluss bis in das Stadtzentrum behindern.

 

Welche Gründe sprechen noch gegen dieses Projekt?

 

KRAMER: Der BUND wendet sich gegen die geplante Stadterweiterung, da dort für die Lebensmittelerzeugung sehr wertvolle Ackerböden versiegelt würden, die zu den besten Böden Europas gehören, auch im Klimawandel ertragreich sind und für immer verloren wären. Die Region des Rhein-Main-Gebietes kann sich in Anbetracht der zu beachtenden ökologischen Rahmenbedingungen nur polyzentrisch entwickeln. Die Weiterentwicklung einer Kernstadt Frankfurt in bisher unbebaute Flächen, führt hingegen nach Ansicht des BUND zu größeren ökologischen Nachteilen, insbesondere für die Stadtbewohner.

 

Wie passt dann Naturschutz und Wohnen zusammen? 

 

KRAMER: Die ursprüngliche Idee des Frankfurter Grüngürtels, aber auch aktuelle Bürgerproteste zeigen gerade, dass beides zusammengehört und nicht gegeneinander ausgespielt werden sollte: Zum Wohnen gehört eine gute Grünraumversorgung mit dazu und Naturschutzflächen sind in der Regel auch für menschliche Erholung nutzbar. Der BUND spricht sich in Frankfurt für eine nachhaltige Nachverdichtung in energiesparender Bauweise, mit natürlichen Werkstoffen in einem gesundheitsverträglichen Wohnumfeld aus.

 

Was muss dann in der Finanzmetropole aus ökologischer Sicht besser werden?

 

KRAMER: Davon abgesehen besteht gerade im Hinblick auf den Klimawandel und das Insektensterben erheblicher Nachholbedarf in der Begrünung von Dächern und Fassaden, aber auch öffentlichen Plätzen Frankfurts. Wer die Innenstadt von oben betrachtet, wird dort kaum einen grünen Fleck ausmachen. Auch weitere Wasserflächen würden sich in Frankfurt klimatisch positiv auswirken. Die Stadt hat bereits auf den Klimawandel reagiert, sollte aber ihre Möglichkeiten noch stärker nutzen um den gesundheitsgefährdenden Auswirkungen des Klimawandels und der Feinstaubemissionen zu begegnen.  Der BUND ist in Frankfurt daher selbst aktiv dabei Brachflächen mit einem Blütenangebot für Insekten zu begrünen, aber auch Bürger und die Landwirte im Frankfurter Norden bei der ökologischen Aufwertung ihrer offenen Flächen zu beraten.

 

Muss der Naturschutz zurücktreten, wenn es um das wichtige Thema „Wohnen“ geht?

 

KRAMER: In der aktuellen Situation, in der dreißig Jahre verfehlter Wohnungs- und Raumentwicklungspolitik in Deutschland zu einem Mangel bezahlbaren Wohnraums in Ballungsräumen geführt haben, kommt es leider vor, dass Kommunalpolitiker das Versprechen einer hohen Zahl von Wohnungsneubauten höher einschätzen als den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen. Was leicht übersehen wird: Dadurch lassen sich aber weder Naturschutzrechte noch der Flächenbedarf der Landwirtschaft aushebeln. Zudem gehen die natürlichen Flächen und Biotope unwiederbringlich verloren.

 

Wurden bislang zu viele Flächen „zubetoniert“, um „kleine Häuser“ darauf zu bauen? 

 

KRAMER: Der Flächenbedarf ist seit Jahrzehnten viel zu hoch. Der Wohnungsbau allein ist da nur ein Treiber, Gewerbe und Verkehr kommen noch hinzu. „Große Häuser“ sind dabei aber weniger das Problem als viele kleine Häuser auf verhältnismäßig großen Grundstücken. Eine kompakte Siedlungsstruktur mit Mehrfamilienhäusern führt nicht nur zu weniger Verkehrsfläche und kürzeren Wegen, sondern auch zu geringeren Wohnkosten.

 

Was haben die (Wohnungs-) Planer falsch gemacht? 

 

KRAMER: Wohnungsplaner in dem Sinne gibt es ja kaum. In der Regel werden Wohnungsbauflächen geplant und die Gestaltung des Wohnraums selbst dem Markt überlassen. Das hat zu Fehlentwicklungen geführt, insbesondere wurde zu lange der Traum vom „Einfamilienhaus im Grünen“ bedient und dabei sehr viel Grün zerstört. In vielen dieser Häuser wohnen auch gar keine Familien mehr. Ein wesentlicher Grund, warum pro Kopf heute viel mehr Wohnfläche „benötigt“ wird, sind ältere Menschen, die allein oder zu zweit da wohnen, wo sie zu dritt, viert, fünft eingezogen sind. Wohnraumplanung sollte hingegen ein flexibleres Raumangebot bieten, das allen Generationen ein flächensparendes und bezahlbares Wohnen ermöglicht. 

 

Wenn es in den Ballungsräumen keine Flächen mehr gibt, sollte dann der ländliche Raum mit Neubaugebieten „beglückt“ werden?

 

KRAMER: Das würde das Problem nur verlagern. Aus Sicht des Naturschutzes würde es das Problem aktuell noch verstärken: Im ländlichen Raum werden in der Regel leider weiterhin relativ kleine Häuser auf relativ große Grundstücke gebaut. Um der Landflucht gegenzusteuern, muss in den städtischen Zentren des ländlichen Raums die Infrastruktur innerörtlich gesichert und ausgebaut werden. Der ÖPNV zwischen den Zentren und Regionen in Hessen muss landesweit dringend mit schnellen Verbindungen ausgebaut werden. 

 

Gibt es denn Möglichkeiten zur Nachverdichtung?

 

KRAMER: Die TU Darmstadt hat wissenschaftlich belegt, dass in den Metropolen Deutschlands, wie auch in Frankfurt, Möglichkeiten der Nachverdichtung auf versiegelten Flächen in die Höhe bestehen, um ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dabei müssten keine Grünflächen in Anspruch genommen werden. Außerdem wurden zahlreiche bestehende Wohnungsbauanträge noch nicht realisiert. Der BUND sieht daher in Frankfurt genügend Möglichkeiten die Wohnungsnachfrage kurzfristiger als mit einem neuen Stadtteil innerstädtisch zu befriedigen.

 

Welche Lösungen schweben Ihrer Organisation bei diesem Thema generell vor?

 

KRAMER: Vor allem Bestandsentwicklung – also der Umbau bestehender Häuser und Quartiere, sowie Nachverdichtung, insbesondere auf bereits bebauten Flächen – in allen Gebieten, bei denen eine Erschließung mit dem ÖPNV gewährleistet ist, beziehungsweise werden kann: In der Metropole selbst, im Verdichtungsraum und gegebenenfalls in ländlichen Siedlungen. Dabei geht es nie allein um Wohnraumentwicklung, sondern immer auch um Arbeitsplätze und die Weiterentwicklung von bestehenden Zentren, so dass im Ergebnis nicht vor allem neue Pendlerströme erzeugt werden. Bei der Auswahl von Siedlungsflächen und Verkehrswegen sollten die ökologischen Anforderungen bei Planungsvorhaben nach unserer Ansicht konsequent vorrangig berücksichtigt werden. mei"