Terrorgefahr ist in Deutschland noch nicht gebannt

Herr Meining, die Anschläge in Christchurch und Utrecht brachten den Terrorismus wieder auf die „Tagesordnung“. Wie sicher ist Deutschland heute?

 

 STEFAN MEINING: Auch nach dem militärischen Zusammenbruch des sogenannten „Islamischen Staates“ in Syrien und Irak muss mit terroristischen Anschlägen gerechnet werden; und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Die Ideologie und der Hass dieser Männer und Frauen existiert weiter. Wir dürfen uns nichts vormachen: In Syrien, im Irak und auch in Deutschland gibt es nach wie vor Anhänger der IS- oder anderer islamistischer Ideologien.

 

Wie war die Sicherheitslage in Deutschland nach der Flüchtlingswelle im September 2015?

 

MEINING: Deutschland war zunächst Durchmarschgebiet von islamistischen Terroristen, die auf der Landroute aus dem Nahen Osten nach Europa reisten und später in Frankreich und Belgien entsetzliche Anschläge begingen. Diese Anschläge hätten auch in Deutschland passieren können. Die deutschen Sicherheitsbehörden hatten im Herbst 2015 den Überblick verloren, wer sich in der Bundesrepublik aufhielt.

 

Wie hat sich diese Situation dann im Laufe der Zeit entwickelt?

 

MEINING: Nach den Terroranschlägen in Paris am 13. November 2015 war in deutschen Sicherheitskreisen die Sorgen riesengroß, dass sich weitere Terrorzellen in der Bundesrepublik aufhielten oder hier sogar Anschläge planten. Die deutschen Sicherheitsbehörden geben ihr Bestes. Das Grundproblem aber besteht weiterhin: Niemand weiß, wer sich genau in Deutschland aufhält. Ein weiteres Problem kommt hinzu: Eine islamistische Radikalisierung in Deutschland von zumeist jungen Männer.

Hat die Kölner Silvesternacht und ihre Konsequenzen dafür gesorgt, dass die Sicherheitslage sich verbesserte?

MEINING: Infolge der Kölner Silvesternacht handelte die Regierung sehr schnell und verabschiedete eine Reihe von Maßnahmen, die beispielsweise eine schnellere Abschiebung von Gewalttätern erlauben. In der Realität aber zeigte sich bald, dass viele Abschiebungen aus den unterschiedlichsten Gründen scheitern. 

 

Zum Beispiel im Fall Amri. Was lief dort alles schief?

 

MEINING: Rückblickend ist klar, dass im Fall Amri so gut wie alles schieflief, was schieflaufen kann. Der Fall Amri zeigt meiner Meinung nach, aber vor allem eines: Die deutschen und letztendlich auch die europäischen Behörden waren nicht in der Lage, einen offensichtlich gefährlichen Mann, der zunächst als Krimineller auffällt, dann ohne Perspektiven durch Europa zieht und sich dann auch noch radikalisiert, zu stoppen. 

 

Haben die Sicherheitsbehörden aus diesen Vorfällen etwas gelernt?

 

MEINING: In der sogenannten Kölner Silvesternacht ging es vor allem um abstoßende Gewalt gegen Frauen. Es handelte sich um „unpolitische“ Taten. Der Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt war ein Terrorakt. Natürlich haben die Behörden sehr viel gelernt! Nur: Seit 2015 ist offensichtlich, dass die Sicherheitsbehörden am Limit sind und sich deshalb auf die wichtigsten Fälle konzentrieren müssen. Sicherheitslücken sind die Folge!

 

Was hat sich gesellschaftlich nach den Kölner Vorfällen und dem Berliner Anschlag geändert?

 

MEINING: Nach Köln konnte offener über das Thema „Gewalt durch Flüchtlinge und Migranten“ diskutiert werden. Schon nach den Terroranschlägen von Paris war klar, dass sich Terroristen als Flüchtlinge ausgaben. 2016 gab es auch in Deutschland, in Würzburg und in Ansbach Attentate. Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt war lediglich ein letzter, brutaler Weckruf.

 

Wo sehen Sie derzeit die größte Gefahrenquelle für die Sicherheit in Deutschland? 

 

MEINING: Hier sollte man unterscheiden: Auf der einen Seite verüben Asylbewerber entsetzliche, aber unpolitische Gewalttaten, die die Menschen verunsichern und die Stimmung anheizen können. Bei dieser Gruppe von Tätern handelt es sich vor allem um junge Männer. Auf der anderen Seite besteht nach wie die große Gefahr, dass Einzeltäter beispielsweise zu einem Messer greifen und in religiöser Verblendung morden. Ich denke hier an das Attentat in Hamburg 2017. Diese spontanen Taten sind nur äußerst schwer zu verhindern. Aber auch die Gefahr eines im Vorfeld lange geplanten Anschlags mit vielen Opfern besteht nach wie vor. mei

 

Buchhinweis: Stefan Meining, Geheimakte Asyl. Wie die Politik in der Flüchtlingsfrage Deutschlands Sicherheit gefährdet, dtv Sachbuch, München 2019, 320 Seiten, 16,90 Euro

 

Zur Person: Stefan Meining ist seit 1996 Redakteur beim ARD-Politmagazin Report München und Terrorismusexperte des Bayerischen Rundfunk. Er unternahm zahlreiche Recherchen und Reisen in den Nahen Osten, darunter nach Syrien, Irak, Türkei oder Libanon. mei

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