Staat und Gesellschaft wie ein Unternehmen führen

Herr Schuler, Sie haben sich intensiv mit der Bertelsmann-Stiftung beschäftigt. Welchem Zweck dient sie und warum wurde siec errichtet? 

 

THOMAS SCHULER: Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn hat sie 1977 gegründet, weil sie ihm erlaubte, Kontakte in die Politik zu knüpfen, Einfluss auf Gesetzesentscheidungen und -reformen zu nehmen, ganz allgemein gesellschaftliche Debatten loszutreten oder zu beeinflussen.

 

Welche Gründe gab es für ihn noch?

 

SCHULER: Hauptgrund war damals, dass er fürchtete, im Todesfall müssten seine Erben Teile des Konzerns verkaufen, um Erbschaftssteuer zu zahlen. Das wollte er mit der Stiftung verhindern. Denn ihr gehört der Konzern ja mehrheitlich. Allerdings nur, was die Kapitalrechte (und somit die Steuerpflicht) betrifft. 

 

Wie sind die Eigentumsverhältnisse geregelt?

 

SCHULER: Die entscheidenden Stimmrechte hält bis heute die Familie Mohn. Im laufenden Geschäft funktioniert die Stiftung als stiller Teilhaber, der keine allzu großen Gewinne einfordert und dem Management Freiheiten gibt, das Geld zu reinvestieren. Auf dem Papier besitzt also die Stiftung ein Unternehmen; in Wirklichkeit besitzt die Unternehmerfamilie beziehungsweise Bertelsmann eine Stiftung, wie Sie richtig sagen, und diese wird teilweise mit Steuern finanziert.

 

Die Stiftung ist sehr häufig mit Studien in der Öffentlichkeit präsent. Nach welchen Kriterien werden die Studienthemen ausgewählt?

 

 SCHULER: Das ist unklar. Die Stiftung funktioniert traditionell inhaltlich als Summe mehrerer Fürstentümer. Vermutlich könnte nicht einmal die Stiftung selbst klar beantworten, welche Kriterien gelten – obwohl sie das natürlich empört abstreiten würde. Ein roter Faden sind die Vorgaben von Reinhard Mohn. Er wollte mehr Wettbewerb und Privatisierung und generell den Staat wie ein Unternehmen geführt sehen. 

 

Und was noch?

 

SCHULER: Warum aber dieses oder jenes Bildungsthema auf diese oder jene Art behandelt wird? Da müsste man sich die vielen Hundert Studien und Veröffentlichungen genauer und einzeln ansehen. Außerdem forderte Mohn den Blick über den Zaun, also die Suche nach Lösungen weltweit. Wo und in welchem Land gibt es eine Lösung für ein Problem bei uns? Nach diesem Gedanken vergab die Stiftung jahrelang den Bertelsmann-Preis und flankierte ihn mit Studien. Heute zeichnet sie damit auch ehemalige Politiker aus, die – so scheint es – für ihre Treue zur Stiftung ausgezeichnet und finanziell belohnt werden. 

 

Was sollen diese Studien innerhalb der Gesellschaft nun konkret bewirken?

 

SCHULER: Ganz allgemein: Auf Reformen oder Veränderungen hinwirken. Sie dürfen davon ausgehen, dass diese Veränderungen dem Unternehmen Bertelsmann nicht schaden würden. Aber nicht jede Studie ist danach ausgesucht, ob sie Bertelsmann nutzt. Vieles ist nur heiße Luft. Deshalb kritischer gesehen: Aufmerksamkeit in Medien erzeugen und Teil von Debatten zu sein, um die eigene Wichtigkeit zu betonen. 

 

Hat die Stiftung eine politische Ausrichtung? Welche Ziele verfolgt sie?

 

SCHULER: Zeigen, wie wichtig und wertvoll die Stiftung ist, und wie sehr sie sich ums Gemeinwohl sorgt – denn sie will ja gemeinnützig und damit steuerbegünstigt bleiben. Was die politische Ausrichtung betrifft: Da ist Bertelsmann und somit seine Stiftung flexibel. Nahe an der Macht, im Kern neoliberal, wenngleich sie die harten neoliberalen Ziele nicht mehr so deutlich zeigt wie vor 15 Jahren, als sie der Regierung half, Hartz IV zu etablieren und Unternehmensmanager als Hochschulräte einführte. Ich nannte mein Buch „Bertelsmannrepublik Deutschland“, weil ich das als ihr Ziel empfand: Staat und Gesellschaft nach Unternehmergrundsätzen führen. Wettbewerb als Allheilmittel.

 

Gibt es Beispiele für Studien, mit denen politische Veränderungen herbeigeführt beziehungsweise eingeleitet wurden?

 

SCHULER: Zur Reform der Arbeitslosen- und Sozialversicherung, die in Hatz IV mündete, gab es eine Menge Studien und Broschüren. Zu viele, um hier im Einzelnen darauf einzugehen. 

 

Warum werden diese Studien so gerne von den Medien aufgegriffen?

 

SCHULER: Da helfen der Stiftung die professionelle Aufbereitung und das Knowhow eines Medienkonzerns, vor allem auch die guten Kontakte des Hauses zu Journalisten auf Leitungsebene. Die Studien treffen meist ein aktuelles Thema und lassen sich leicht weiter verarbeiten. JournalistInnen lassen sich gerne füttern. Die Studien sind leicht verdaulich. Möglicherweise empfinden manche die Adresse der gemeinnützigen Stiftung als Empfehlung – so als kämen die Studien von einer unabhängigen Seite, die dem Gemeinwohl verpflichtet sei. Es steht ja nicht darüber: „Eine mit Steuergeldern finanzierte Studie der abhängigen Stiftung der Unternehmerfamilie Mohn“, wenngleich das der Wahrheit näher käme.

 

Was muss sich an der Bertelsmann-Stiftung Ihrer Ansicht nach ändern?

 

SCHULER: Sie müsste unabhängig vom Unternehmen und somit von der Familie Mohn werden. Das wird nicht von alleine geschehen. Die Parteien müssten das Stiftungsrecht so reformieren, dass die Konstruktion der so genannten Doppelstiftung obsolet wird. Das Perfide an dieser Konstruktion ist Folgendes: Die Stiftung ist formal zweigeteilt. Die Stiftung selbst ist gemeinnützig und damit steuerbegünstigt. Entscheidungen fallen aber in der kleinen GmbH unter Kontrolle der Familie Mohn, die sich dem Unternehmen verpflichtet fühlt. 

 

Diese Konstruktion bleibt nicht ohne Folgen ...

 

SCHULER: Mit dem Effekt, dass Entscheidungen dem Unternehmen nützen sollen – und nicht der Gesellschaft. Das sagen die Verantwortlichen allerdings der Öffentlichkeit nicht, auch nicht die Stiftungsaufsicht, die keine echte Kontrolle bietet. Nur: eine echte Reform konnte Bertelsmann bislang verhindern, indem sie den Reformprozess begleitete und zu ihren Gunsten beeinflusste. Der Einfluss der Stiftung und des Unternehmens sind zu gewaltig. 

 

Und wie reagiert die Politik darauf?

 

SCHULER: Unsere führenden PolitikerInnen halten gerne Reden bei Feierlichkeiten der Stiftung, in denen sie deren Bedeutung betonen. Für Angela Merkel und Gerhard Schröder und unsere Präsidenten muss das immer besonders inspirierend und aufregend gewesen sein, so gerne ließen sie sich einladen und beraten. Außerdem fragen sich Politiker, was ihnen eine solche Reform nützen würde. Als Wahlkampfthema ist das zu komplex. Außerdem stellen sich Politiker gerne gut mit Bertelsmann. Viele glauben, das würde ihnen nutzen, indem sie Medien-Aufmerksamkeit bei RTL oder im „Stern“ oder vielleicht sogar einen Buchvertrag erhalten. mei

 

 

Personalie: Thomas Schuler (54), Absolvent der „Columbia Journalism School“ in New York, lebt als freier Journalist in München. Schrieb für „Süddeutsche Zeitung“, „Berliner Zeitung“, „Cicero“, Spiegel“, „ZEIT“ sowie „Neue Zürcher Zeitung“. Intensive Beschäftigung mit dem Bertelsmann-Imperium, Autor der Familienbiografien „Die Mohns“ (2004, Campus) und „Strauß“ (2006, Fischer) sowie des Sachbuchs „Bertelsmannrepublik Deutschland“ (Campus). „Die Mohns“ erschien jetzt auch in China. Mehrere Jahre Mitarbeit im Vorstand von Netzwerk Recherche. Seit vielen Jahren Lehraufträge für Recherche und investigative Recherche u.a an der Universität Eichstätt, der Akademie der Bayerischen Presse, des Bayerischen Rundfunks und von Zeitungsverlagen. Gründer und Gesellschafter der gemeinnützigen Recherche-Werkstatt ProRecherche https://www.prorecherche-lehrredaktion.org

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