Abschiebungen: Ein Polizist erzählt, wie es wirklich ist

Jetzt sitzen wir in einem Cafe und reden über Heimanns ehemaligen Aufgabe, als er abgelehnte Asylbewerber wieder in ihre Heimatländer begleiten musste. Algier, Tunis, Hanoi, Lagos waren seine Stationen, die auf Heimig Flugroute standen.

 

„Das waren keine Urlaubsflüge“, sagt er und erzählt weiter: „Meistens hatten wir es mit problematischen Menschen zu tun, die schon vor ihrer Abschiebung unangenehm aufgefallen waren und zu Aggressionen neigten.“ 

Heimig erinnert sich, dass diese „Aggressionen“ meist vor dem Flug zutage traten. „Vermutlich wussten diese abgelehnten Asylbewerber, dass sie dann der Flugkapitän nicht mitfliegen lässt und sie wieder von Bord gehen müssen. Diese Menschen wussten dann, dass ihr Abschiebeverfahren wieder einen neuen Anlauf nimmt“, so Heimann zwischen zwei Schluck Kaffee.

 

Kapitäne wollen abgeschobene Asylbewerber nicht an Bord haben

 

Überhaupt die Flugkapitäne. Die sieht der Polizist besonders kritisch. „Sie entscheiden letztlich darüber, ob sie angelehnte Asylbewerber mitnehmen oder nicht. Nicht wenige, vor allem die von der Lufthansa, wollen diese Personen nicht an Bord haben. So habe ich es jedenfalls erlebt“, berichtet Heimig. 

 

Die nackten Zahlen sprechen lassen

 

Lassen wir bei diesem Thema einmal die nackten Zahlen sprechen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wurden im ersten Halbjahr diesen Jahres insgesamt 13 111 Abschiebungen „auf dem Luftweg vollzogen“. Die meisten dieser Abschiebungen erfolgten über den Frankfurter Flughafen (2807), gefolgt von Düsseldorf (2561), München (1571), Leipzig (1523), Baden-Baden (1336) und Berlin-Schönefeld (1180). 

 

Nur jeder Ausreisepflichtige wird außer Landes gebracht

 

Um diese Zahlen einordnen zu können, ist es wichtig, zu wissen, dass Ende Juni 2016 noch 549.209 Menschen in Deutschland lebten, die teils schon vor Jahren erfolglos einen Asylantrag stellten. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor.„In Hessen wurden 2015 rund 2660 Abschiebungen und fast 6700 freiwillige Ausreisen organisiert. Im laufenden Jahr waren es bis Anfang Dezember rund 1580 Abschiebungen und etwa 5650 freiwillige Ausreisen“, rechnet Innenminister Peter Beuth vor.  „Laut dem vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geführten Ausländerzentralregister lebten zum Stichtag 31. Oktober rund 6700 vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer mit Duldung in Hessen“, sagt Michael Schaich, Sprecher des hessischen Innenministeriums, auf Nachfrage. Das bedeutet, dass in Hessen noch nicht einmal jeder vierte ausreisepflichtige Asylbewerber außer Landes verbracht wird. 

 

Wann die Ausreisepflicht besteht

 

„Die Ausreisepflicht entsteht allerdings nicht ausschließlich aus einem abgelehnten Asylverfahren, sondern kann auch eintreten, wenn zum Beispiel aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung das Aufenthaltsrecht im Wege der Ausweisung beendet wird oder der Aufenthaltstitel aus sonstigen Gründen abzulehnen ist“, erläutert Schaich. Beispiele können dabei sein, dass das Studium nicht ordnungsgemäß fortgeführt wird, die eheliche Lebensgemeinschaft innerhalb der ersten drei Jahre oder der Erwerbsaufenthalt beendet werden und kein anderer Aufenthaltsgrund vorhanden ist. 

 

Die Gründe für die Ablehnung eines Asylbewerbers sind vielschichtig

 

Die Gründe die bei „Duldung“ eines abgelehnten Asylbewerbers greifen, seien „vielschichtiger Natur“, wie Maisch erklärt. Die häufigsten seien dabei fehlende Pässe oder Passersatzpapiere, Krankheit des Ausreisepflichtigen oder seiner Familienangehörigen, anhängige Petition oder Härtefallantrag, Asylfolgeantrag oder Asylverfahren von Familienangehörigen, ein anhängiges Verwaltungsstreitverfahren beziehungsweise eine aufschiebende Wirkung der Klage.„Fehlende Pässe oder Passersatzpapiere aufgrund der geringen Kooperationsbereitschaft vieler Herkunftsländer stellen nach unseren Erfahrungen das Haupthindernis für die Durchführung von Rückführungsmaßnahmen dar“, so Maisch weiter. Nach Angaben des Hessischen Städte- und Gemeindebundes leben in Hessen derzeit rund 85 000 „Flüchtlinge“. Über den aktuellen Aufenthaltsstatus dieser Menschen konnte selbst der Städte- und Gemeindebund keine detaillierten Angaben machen. Derzeit könne sich der „Status“ der Flüchtlinge fast täglich ändern, hieß es. 

 

Das muss passieren, damit es zur Abschiebung kommt

 

Aber was muss alles passieren bis es zu einer Abschiebung kommt? So sieht das Procedere aus, das Schaich erläutert: Ist ein Asylbewerber vollziehbar ausreisepflichtig, erhält er zunächst die Möglichkeit, freiwillig auszureisen. Reist er nicht freiwillig aus, ist der Ausländer nach Maßgabe des Aufenthaltsgesetz abzuschieben. „Die Ausländerbehörden vollstrecken dann die Abschiebung Rahmen des Hessischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes; die Landespolizei leistet dahingehend Amtshilfe“, so Schaich.

 

Ausländer wird ohne Ankündigung aus der Unterkunft abgeholt

 

Da die Abschiebung nicht angekündigt werden dürfe, hole die Landespolizei am Abschiebungstag den betreffenden Ausländer in seiner Unterkunft ab. Da die Adressen der Ausländer bekannt sei, ist es möglich, der Ausländer habhaft zu werden. 

„Die Sammelrückführungen werden vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung für das Land Hessen priorisiert und federführend durch die Hessische Bereitschaftspolizei durchgeführt“, sagt Schaich. Die jeweilige Anzahl der eingesetzten Polizeivollzugsbeamten bei den Sammelrückführungen orientiere sich an der Gesamtanzahl der rückzuführenden Personen und liege „im Durchschnitt bei einer mittleren zweistelligen Zahl pro Sammelrückführung“. Am Flughafen kommt dann schließlich die Bundespolizei ins Spiel. 

 

Amtlichen Stellen wird nicht geglaubt

 

Heimig und, wie er sagt, viele seiner Kollegen glauben nicht an die Zahl der Abschiebungen, die amtliche Stellen veröffentlichen. „Meine Kollegen und ich wissen ja, was vor Ort passiert“, sagt er und berichtet sofort von Erlebnissen mit abgelehnten Asylbewerbern, die plötzlich ihren Namen, Alter und Herkunftsland änderten, weil sie wussten, dass sie so eine mögliche Abschiebung hinauszögern könnten. Heimann wundert sich dabei am meisten über die „vielen Minderjährigen“, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. „Bei den Altersangaben wird sehr viel gelogen“, meint er. Und das mit gutem Grund. „Minderjährige werden ja nicht abgeschoben“, schimpft Heimig.

 

Abschiebepraxis in Deutschland ist zu lasch

 

So etwas ärgert ihn sehr. Heimann ist der Auffassung, dass die Abschiebepraxis in Deutschland einfach zu lasch ist. „Unser Ausländergesetz ist gut, aber die Umsetzung funktioniert offenbar nicht“, sagt der Polizeibeamte und ergänzt: „Es gibt immer wieder Abschiebehindernisse. Sogar die Herkunftsländer möchte die bei uns abgelehnten Asylbewerber nicht zurückhaben“. Unter diesen Vorzeichen ist für Heimann, und wie er meint nicht nur für ihn, das Ende der Fahnenstange erreicht. Durch die hohe Zahl der Flüchtlinge seien nämlich die Anforderung für ihn und seine Kollegen stark gestiegen. Heimann macht das an einem Beispiel deutlich. „Frankfurt ist für die Bundespolizei eine zentrale Stadt. Trotzdem mussten wir Kollegen für das Bundesland Bayern abstellen, da dort wegen der großen Zahl an Flüchtlingen Not am Mann war. In Frankfurt fehlen dann die Kollegen, die dort auch gebraucht werden“, erläutert er.

 

Freiwillige Ausreise ist der Abschiebung vorzuziehen

 

Die rasche Rückführung von Personen, die keine Bleibeperspektive im Bundesgebiet haben, hat in Hessen bereits seit Monaten Priorität, sagt Innenminister Beuth. Um die „Belastung für alle Beteiligten“ so gering wie möglich zu halten, sei eine freiwillige Ausreise dabei auch immer der Abschiebung vorzuziehen. „Deshalb werden in Hessen erhebliche Anstrengungen unternommen, um Menschen bei der freiwilligen Ausreise zu unterstützen“, so Beuth weiter. Wer aber kein Bleiberecht habe, müsse wieder in das Herkunftsland zurückgeführt werden. „Nur so können wir die Akzeptanz in der Bevölkerung behalten, den wirklich Schutzbedürftigen auch Schutz zu bieten“, so der Minister. Für Klaus-Peter Heimig ist jetzt die Zeit für den nächsten Kaffee gekommen. Er will hellwach sein. In zwei Stunden fängt sein Dienst an.  mei