Warum viele Deutsche auswandern

Frau Eick, bei den großen Auswanderer-Wellen im 19. Jahrhundert waren sehr viele Hessen dabei. Zieht es heute immer noch so viele Hessen in die Fremde?

 

SIMONE EICK: Laut aktuellen Erhebungen sind es im Jahr rund 90 000 Hessen, die ihrem Bundesland den Rücken kehren. Das entspricht einer mittelgroßen Stadt.

 

Wohin zieht es die Hessen?

 

EICK: Da sind die Hessen voll im Bundestrend. Auf Platz eins der beliebtesten Auswandererländer liegt die Schweiz. Auf Platz zwei und drei folgen die USA und Österreich. Großbritannien liegt zwar im Ranking der beliebtesten Auswandererländer, aber ich gehe davon aus, dass durch den Brexit immer mehr Menschen Großbritannien verlassen werden, statt dort einzuwandern. 

 

Die USA genießen bei Auswanderern offenbar immer noch einen guten Ruf. Was macht sie weiter attraktiv und wird es so bleiben? 

 

EICK: Die USA verfügt immer noch über ausgezeichnete Universitäten und Colleges. Solch ein Umfeld bietet für gut ausgebildete Menschen reizvolle Arbeitsplätze. Auf der anderen Seite ist das Image der USA, vor allem bei jungen Menschen, nicht mehr so gut. Bei den unter 25-Jährigen hat Australien den USA den Rang abgelaufen. Die Leichtigkeit, den der Slogan American Way of Life früher symbolisierte, wird von den Jungen heute mit dem Land Down under, also Australien, verbunden. Nicht von ungefähr haben schon Zehntausende von jungen Menschen mit der Methode „Work and Travell“ das Land besucht.

 

Aber lassen Sie uns zu den klassischen Auswanderern zurückkommen. Welchen beruflichen und persönlichen Hintergrund haben diese?

 

EICK: Hier gibt es die, denen es in Deutschland, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr gefällt und die lieber in einem anderen Land leben möchten. Dann gibt es auf der anderen Seite zum Beispiel die gut ausgebildeten Facharbeiter, Ärzte und sonstigen Akademiker. Das sind in der Regel Auswanderer auf Zeit, die nach einigen Jahren zurück nach Deutschland kommen. Generell können wir davon ausgehen, dass zwischen 30 und 40 Prozent der Auswanderer wieder zurück in die Heimat kommen. 

 

Sind diese Rückkehrer mit falschen Erwartungen ins Land ihrer Träume gereist?

 

EICK: Bei den meisten ging es einfach darum, sich persönlich weiter zu entwickeln. Ein Auslandsaufenthalt macht sich nämlich gut in der beruflichen Vita. Andere wollten einfach einen Neuanfang wagen. Doch das ist manchmal nicht so einfach. Nach der ersten Euphorie, die sich bei der Ankunft in dem neuen Land einstellt, kommt schnell auch die Ernüchterung, wenn der Auswanderer feststellt, dass es doch mehr oder weniger große kulturelle Unterschiede zur alten Heimat gibt. Dann stößt er plötzlich gegen eine gläserne Wand. 

 

Was gilt es in solchen Situationen für die Auswanderer zu tun?

 

EICK: Ganz wichtig ist es, sich an die neuen Lebensbedingungen anzupassen. Während meiner Promotion in den USA habe ich historische Dokumente ausgewertet über Kleinbauern aus Niedersachsen, die im 19. Jahrhundert in die USA ausgewandert sind. Sie waren es in ihrem Heimatland gewohnt, Gerste anzubauen. Das war im ländlichen Umfeld von Chicago nicht mehr möglich, da die Bodenverhältnisse dafür nicht geeignet waren. Diese Bauern waren gezwungen, Mais anzubauen. Hätten sie sich nicht an diese Umstände angepasst, hätten sie es in den USA nicht geschafft und wären vermutlich gescheitert. Es ist also sehr wichtig, sich mit den Sitten und Gebräuchen im neuen Land vertraut zu machen. 

 

Gibt es denn unter den Auswandern immer noch welche, die scheitern?

 

EICK: Ja, das sind die, die auf gut Glück auswandern. In den meisten Fällen ändert das in einer Katastrophe. Aber solche Fälle sind nicht die Mehrzahl. Akademiker und Facharbeiter, die den Schritt in ein neues Land wagen, sind darauf gut vorbereitet. In aller Regel haben sie schon einen Job oder eine Geschäftsidee, mit denen sie ihren Unterhalt sichern.

 

Wer auswandern will, braucht sicherlich auch das nötige Kleingeld dazu ...

 

EICK: Ja, die attraktiven Länder haben heute alle Einwanderungsgesetze. Es ist also nicht mehr leicht, auszuwandern. Wer zum Beispiel nicht das notwendige Geld für einen Umzug aufbringen kann, hat es schwer. In den USA gibt es die sogenannte Greencard die längere Aufenthalte reglementiert und die ein Hindernis für Einwanderer sein kann.

 

Aber warum ist unter diesen Umständen auswandern immer noch so beliebt, TV-Sender widmen sich ausgiebig diesem Thema?

 

EICK: Das stimmt. Bei diesen Sendungen habe ich das Gefühl, dass sich die Zuschauer das Elend der Auswanderer anschauen sollen. Mit dem Thema selbst haben diese Beiträge nichts zu tun. Diese TV-Formate scheinen aber ihr Publikum zu finden. Auch vielleicht deshalb, weil nach Erhebungen knapp 40 Prozent in ihrem Leben schon einmal über Auswanderung nachgedacht haben.

 

Um diese Fragen kommen wir aber nicht herum. Wie beliebt sind die Deutschen eigentlich im Ausland? 

 

EICK: Mein Eindruck ist, dass die Deutschen im Ausland sehr beliebt sind. Das kann auch an der Flüchtlingspolitik von Frau Merkel liegen. Im Ausland, so jedenfalls mein Eindruck, werden die Deutschen als liberal, tolerant und weltoffen wahrgenommen. mei

 

Buchtipp: Simone Blaschka-Eick, In die Neue Welt!: Deutsche Auswanderer in drei Jahrhunderten, Rowohlt-Verlag, Reinbek 2010, 224 Seiten, 24,95 Euro

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