Über den Umgang mit den Gefährdern

Herr Jahn, die Terroranschläge in Europa häufen sich. Die Politik hat den sogenannten Gefährdern den Kampf erklärt. Mit welchen Mitteln kann man diese von Straftaten abhalten?

 

MATTHIAS JAHN: In erster Linie geht es nicht um Strafrecht, sondern um Gefahrenabwehr. Zu denken ist an aufenthaltsrechtliche Konsequenzen wie Ausweisungen und zahlreiche vorbeugende polizeirechtliche Eingriffsmaßnahmen, daneben natürlich auch sehr weitgehende Befugnisse zur Datenübermittlungen zwischen den Behörden. Da man im Rechtsstaat nur für Taten bestrafen kann, die schon begangen worden sind, nicht aber für solche, die nur der Gesinnung oder vermuteten feindlichen Einstellung einer Person entsprechen, beschränkt sich das Strafrecht auf sogenannte Vorfeldmaßnahmen wie die Bestrafung des Reisens in ausländische Terrorcamps – aber hier muss man zumindest tatsächlich in feindlicher Absicht im Ausland gewesen sein oder es müssen sich Waffen oder Sprengstoff gefunden haben.

 

Ist das eine neue Herausforderung für die Justiz? 

 

JAHN: Wie herausfordernd es in der Praxis ist, daraus allein schon den Schluss auf eine Gefährdereigenschaft zu ziehen, hat hier in Frankfurt unter anderem der Strafprozess nach der Absage der Radrennens am 1. Mai 2015 gezeigt. Der Angeklagte ist vom Landgericht allein wegen Verstoßes gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz verurteilt worden.

 

Vielfach ist auch der Wunsch zu hören, dass Gefährder schon im Vorfeld weggesperrt werden müssen. Oder wartet man quasi immer auf den nächsten Anschlag? 

 

JAHN: Das sind die falschen Alternativen. Wegsperren – gerne verbunden mit dem Zusatz: am besten für immer – ist keine Maxime rechtsstaatlicher Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr. Es muss stets engmaschig geprüft werden, ob der Betroffene noch gefährlich ist, wie heute schon bei der Sicherungsverwahrung psychisch kranker Täter. Die Eigenschaft, ein Gefährder zu sein, ist aber eine Zuschreibung, die nicht an ein Krankheitsbild anknüpft und von einem Sachverständigen attestiert werden kann. Der Begriff Gefährder ist schwammig und stammt aus der Sphäre der Polizeipraxis und nicht der Rechtswissenschaft. 

 

Was verbirgt sich hinter dem Begriff Gefährder?

 

JAHN: Er umschreibt ein Sammelsurium von charakterlichen Eigenschaften und kriminalistischen Zuschreibungen, die kaum auf einen handhabbaren rechtlichen Nenner zu bringen sind. Deshalb sind Pläne, wie aktuell in Bayern, die hier rechtliche Hürden einreißen sollen, sehr kritisch zu sehen. Aber man muss eben auch nicht auf den nächsten Anschlag warten, so zahnlos ist das deutsche Recht nicht. Zahlreiche Vorfeldtatbestände existieren bereits – man muss sie eben, mit rechtsstaatlichem Augenmaß, auch anwenden. Die Bewertung aktueller Fälle wie desjenigen des Berliner Attentäters Amri beschäftigen ja nicht umsonst Untersuchungsausschüsse und Sondergutachter, weil man hinterher fast immer schlauer ist.

 

Wie sieht es mit der sogenannten erweiterten Gefährderhaft und Fußfesseln für diese aus?

 

JAHN: Die Ausweitung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung auf extremistische Straftäter, wie das im Juristendeutsch genannt wird, ist beschlossene Sache, zuletzt hat der Bundesrat zugestimmt und das Gesetz wird zeitnah in Kraft treten. Ebenso ist das Bundeskriminalamt zur Gefahrenabwehr befugt, eine Person an der unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung von Straftaten dadurch zu hindern, dass es sie in Gewahrsam nimmt – also inhaftiert, solange die Prognose trägt. Zuständig für die Prüfung solcher Maßnahmen ist übrigens das Amtsgericht in Wiesbaden, am Sitz des Bundeskriminalamts. Diese Maßnahmen und die vorhersehbaren Streitigkeiten um ihre rechtlichen Grenzen haben also einen unmittelbaren Bezug zur Rhein-Main-Region. 

 

Welche Möglichkeiten der Überwachung sind noch möglich?

 

JAHN: Da gibt es kaum Beschränkungen. Das BKA kann Telefongespräche ebenso wie Kommunikation über WhatsApp und Skype überwachen und Computer online durchsuchen. Der ehemalige Innenminister de Maizière warb sehr dafür, dass alle modernen Kommunikationsmittel auch im Strafprozess so weitgehend ausgeforscht werden dürfen. Dafür gibt es aber aus meiner Sicht aber keine überzeugenden Gründe, denn bei Terrorabwehr geht es nicht um vergangene Straftaten, sondern solche in der Zukunft – und da darf man ja bereits flächendeckend ausforschen.

 

Mittlerweile sind auch Gesichtsscanner im Gespräch. Ein taugliches Mittel zur Terrorabwehr?

 

JAHN: Gesichtsscanner müssten entweder als Fahndungsmittel generell zulässig sein – was sie, wenn man nicht bei einer Dystopie wie George Orwells ’1984’ landen will, nicht sind – oder zwecks Terrorgefahrabwehr an jedem neuralgischen Ort montiert und ständig mit kurzen Alarmketten eingesetzt werden. Doch was genau sind eigentlich, denkt man an die zahlreichen europaweiten Anschläge im öffentlichen Raum der letzten Monate, neuralgische Orte? Man landet auch hier spätestens dann, wenn die Gesichtsscannerabwehr fehlschlägt, in einem Szenario der permanenten Rundumüberwachung – und genau in dieser Logik einer immer höheren Dosis wollen die Fanatiker uns platzieren. Das sollten wir nicht mitmachen. mei

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