Studium zerstört das soziale und politische Engagement

Herr Hattke, Sie waren bei einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie Frankfurt ein gefragter Gast. Was hat Sie in die Politik gebracht?

 

ERIC HAATKE: Ich wurde erst politisch aktiv, als ich mit meinem Studium begonnen habe. Vor allem durch studentische Themen im Studentenrat und auf Landesebene der Studierendenvertretung kam ich das erste Mal in Kontakt mit politischen Akteuren und Institutionen. Einen deutlichen Aufschwung meines Engagements gab es, als fremdenfeindliche Proteste in Dresden zunehmend an Größe gewannen. Die persönlichen Anfeindungen gegen mich waren mir, zugegeben, auch ein zusätzlicher Ansporn. Mir war es dabei wichtig zu zeigen, dass man nicht durch die Androhung von Gewalt mundtot gemacht werden kann. Viele, die ihre Meinung öffentlich äußern, werden bedroht, da bin ich natürlich kein Einzelfall. Die Projekte, die man verwirklicht und die anderen Engagierten mit denen man zusammen arbeiten darf, geben einem die nötige Energie, weiter zu machen.

 

Welchen Eindruck hatten Sie vor Ihrem politischen Engagement von der Politik?

 

HATTKE: Bevor ich mich selbst aktiv eingebracht habe, hatte ich „die Politik“ als etwas weit Entferntes wahrgenommen. Natürlich hatte ich mir auch nicht viele Gedanken darüber gemacht. Es war halt etwas, was da war, aber nicht viel mit mir zu tun hatte. Das war weder besonders positiv noch negativ konnotiert. Daher kann ich es auch gut nachvollziehen, wenn sich einige Menschen als unpolitisch betrachten oder meinen, Politik betreffe sie nicht. Erst wenn man aktiv wird, Erfahrungen macht, die zeigen, dass man etwas verändern kann, ändert sich das Verständnis von „der Politik“ nachhaltig. Und auf einmal wird ein „die von mir entfernte Politik“ zu „ich mache und bin daher Politik“.

 

Warum haben Sie sich keiner Partei angeschlossen, sondern einer Initiative?

 

HATTKE: Ich glaube das ist ein Ergebnis der Geschehnisse und weniger eine Entscheidung gewesen. Da ich im Vorstand eines gemeinnützigen Vereins (Atticus) bin und für die parteineutrale Initiative „Die Offene Gesellschaft“ arbeite, fürchte ich, es wäre momentan für diese Organisationen schädlich, würde ich mich einer Partei anschließen. Ich befürchte, dass viele wichtige und geschätzte Kooperationspartner keine Projekte mehr mit uns machen würden, da sie denken könnten, wir wären durch meine Parteizugehörigkeit, nicht neutral. Vielleicht ändert sich aber dazu meine Einstellung noch – sag niemals nie!

 

Was ist an solchen Initiativen besser, anders?

 

HATTKE: Ich würde nicht sagen, dass es per se besser ist. Es ist einfach ein anderer Weg auf die Gesellschaft zu wirken.

 

Haben Sie unter jungen Menschen eine Politikverdrossenheit festgestellt?

 

HATTKE: Während meiner Zeit als Engagierter in der studentischen Szene habe ich sehr oft gehört, dass manche sich damit rühmen, unpolitisch zu sein – selbst von gewählten Studierendenvertretern. Ein allgemeines Missverständnis, dass unpolitisch mit parteineutral gleichgesetzt wird und verhindert, dass man sich als politisches Wesen in einer Demokratie versteht. 

 

Warum ist das so?

 

HATTKE: Aus eigener Erfahrung bin ich davon überzeugt, dass das Bachelor- und Mastersystem das soziale Engagement im Studium zerstört, da der Leistungsdruck aufgrund der engen Zeitpläne und der dichten Erfüllung von Klausuren, Referaten, Hausarbeiten und Co. relativ hoch ist. Andererseits gibt es auch sehr viele junge Menschen, die sich einbringen, neue Wege erkunden und unglaublich engagiert sind. Ich denke, es gibt in dieser Hinsicht eine ziemliche Spaltung der jungen Menschen in diejenigen, die sich gar nicht für Politik interessieren und die, die sehr viel Zeit und Kraft in ihr Engagement stecken.

 

Können Sie die Jugendorganisationen der Parteien empfehlen? Führen diese junge Leute in die Politik oder ist das nur etwas für Polit-Karrieristen?

 

HATTKE: Ich habe zu wenige Erfahrungen mit Jugendorganisationen der Parteien, da möchte ich mir kein Urteil erlauben. Um in einer Partei erfolgreich zu sein, denke ich, muss man das Spiel in und mit der Partei verstehen und ein Stück weit auch mitspielen. Manchmal ärgert mich das auch etwas. Wenn es zum Beispiel bei Kandidatenwahlen, also zum Beispiel beim Landesvorsitzenden einer Partei, nur eine Wahlmöglichkeit besteht, dann finde ich das zwar nicht per se undemokratisch, aber eben nicht wirklich pluralistisch und wird, meiner Meinung nach, nicht den Ansprüchen gerecht, die manche Parteien nach außen postulieren. Allgemein stört es mich aber auch, dass Menschen, die in der Politik arbeiten, oftmals nur darauf reduziert werden oder ihnen allein aus ihrem Beruf heraus ein schlechter Ruf angedichtet wird. Wir sind von einer Anerkennungskultur der politisch Tätigen noch sehr weit entfernt. Das schadet nicht nur den Politikern, sondern auch unserer Demokratie.

 

Über die „Fremdenfeindlichkeit“ im Osten und Ihrer Heimatstadt Dresden sind Sie zur Politik gekommen. Ist der Osten rassistischer als der Westen?

 

HATTKE: Ich glaube, dass kann und sollte man nicht verallgemeinern. Eine allgemeine Politikverdrossenheit gibt es in der ganzen BRD und die AfD hat ihre Wahlerfolge nicht nur im Osten gefeiert. Aber in Sachsen gibt es kaum Erfahrungen mit „dem Fremden“ und damit auch eine größere Angst vor dem Unbekannten und demzufolge auch mehr Möglichkeiten, dies zu instrumentalisieren. Eine Studie der Sächsischen Landesregierung ergab, dass 58 Prozent der Sachsen finden, dass die Bundesregierung durch zu viele Ausländer gefährlich überfremdet ist. Und das bei einem Ausländeranteil in Sachsen, der immer noch unter sechs Prozent liegen dürfte. Sicher hat auch die DDR ihre Spuren hinterlassen, aber meiner Meinung nach ist der Erfahrungsmangel eines der Hauptprobleme. Da braucht man Zeit, Geduld, Politiker mit Rückgrat und gute Vorbilder.

 

Was kann eine westdeutsche Großstadt, wie Frankfurt, von Ihrer Dresdner Bewegung lernen?

 

HATTKE: Ich bin der Meinung, dass beide Städte voneinander lernen können. Dresden kann sicher bei vielen Thema von Frankfurt lernen, aber auch andersherum. Dass bei uns so schnell viele Menschen kamen, hat uns vor neue Herausforderungen gestellt, denen wir schnell und effektiv begegnen mussten, sicher nicht fehlerfrei. Die Ansätze sind vielfältig und genau darin besteht die Bereicherung. Das empfinde ich auch immer, wenn ich in anderen Städten bin und Projekte vorstelle, bei denen ich mitwirken durfte. Die Gedanken und Erfahrungsberichte werden ausgetauscht und bereichern den eigenen Horizont. Zum Beispiel, dass die evangelische Akademie in Frankfurt das Thema „Freiheit“ intensiv bearbeiten möchte finde ich spannend. Oft vergessen wir wie wichtig solche allgemeinen Werte für unser alltägliches Handeln sind. Vielleicht können wir aber auch ein wenig Gelassenheit von den Frankfurtern lernen. Eine sehr gute Freundin von mir, die bei Atticus stellvertretende Vorsitzende ist, hat einige Jahre in der Nähe von Frankfurt gelebt. Sie rühmt heute noch die Lebensart die sagt: „Wir raufen uns schon alle zusammen“. Wir Dresdner sind da manchmal etwas steif. mei

 

Zur Person: Eric Hattke studiert derzeit an der Technischen Universität in Dresden Philosophie und Geschichte. Nach seinem Sprecheramt bei dem Netzwerk „Dresden für Alle“ gründete er den Verein Atticus, dessen Vorsitz er immer noch führt. Seit April diesen Jahres arbeitet Hattke für die bundesweit Initiative „Die Offene Gesellschaft“ als Botschafter für die Region Sachsen. mei"