Altkanzler Schröder : Die USA dürfen nicht bestimmen mit wem Deutschland Handel betreibt

Altkanzler Gerhard Schröder hat die US-Sanktionen gegen das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 in scharfen Worten verurteilt. In einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte er, "die USA wollen bestimmen, mit wem wir Handel treiben dürfen und mit wem nicht. Das dürfen wir nicht akzeptieren. Wir sind nicht der 51. Bundesstaat der USA." 

 

Schröder ist Präsident der Aufsichtsgremien der Pipeline-Gesellschaften Nord Stream und Nord Stream 2. Die US-Gesetzgebung gegen deren Tätigkeit bezeichnete er als "anmaßend". Die Sanktionen seien eine Einmischung in innere Angelegenheiten der Bundesrepublik, "wie ich sie seit der Wiedervereinigung nicht gesehen habe". Das Vorgehen der USA betreffe auch nicht nur Geschäfte mit Russland, sondern auch mit dem Iran und China. Allein das vorgebliche Bestreben, als USA per Gesetz zur Energiesicher-heit Europas beitragen zu wollen, halte er für übergriffig. "Beschließen wir im Bundestag etwa Sanktionen gegen die USA mit einem Gesetz zur Sicherung der Menschenrechte an der amerikanisch-mexikanischen Grenze? Gründe dafür gäbe es ja", drehte Schröder den Spieß um.

 

Die neue Pipeline wird bald den Betrieb aufnehmen

 

Der SPD-Politiker zeigte sich überzeugt, dass die neue Pipeline durch die Ostsee bald den Betrieb aufnehmen wird. "Das Projekt ist notwendig für die deutsche, aber auch die europäische Energiesicherheit. Deshalb wird es kommen." Das Nord-Stream-Gas sei preiswerter als LNG, also verflüssigtes Gas, und auch für die Spezialchemie besser zu verarbeiten. "Wir steigen aus der Kernenergie und der Kohle aus. Wir brauchen eine Energieversorgung, die sicher ist und Preise ermöglicht, die die deutsche Industrie am Leben lässt und für Rentner, Arbeitnehmer und Menschen, die es nicht so dicke haben, bezahlbar ist", sagte Schröder. 

 

Entfremdung zwischen den USA und Europa

 

Der frühere Bundeskanzler bedauerte die Entfremdung zwischen den Vereinigten Staaten und Europa. "Was mich wirklich besorgt, ist etwas anderes", fügte er allerdings hinzu: "Es wird viel gesprochen über das Verhältnis zu den USA und zu Russland, aber zu wenig über unser Verhältnis zu Frankreich." Hier gebe es große Defizite. "Es braucht, gerade nach diesem verheerenden Brexit, einen europapolitischen Impuls: engere Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Außenpolitik, Koordinierung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, mehr Anstrengungen bei Innovation und Digitalisierung. Und dieser Impuls muss von den beiden wichtigsten Ländern in der EU kommen, von Deutschland und Frankreich." 

 

Diffamierungen aus den sozialen Medien in den Printbereich übertragen

 

Als Bundeskanzler sagte Gerhard Schröder, zum Regieren brauche er "Bild" und Glotze. Heute beißt sich die "Bild" an ihm trotz Dauerkritik die Zähne aus. "Ich bin mir sicher, dass sie mit dieser Art von persönlichen Angriffen und Kampagnen keiner mehr ernst nimmt, ich schon gar nicht", sagte der SPD-Politiker. Die "Bild" bezeichnete Schröder wegen seiner Tätigkeit für russisch geprägte Unternehmen alleine in den jüngsten Wochen als "Chef-Lobbyisten eines autoritären Regimes, das Journalisten ermorden lässt", oder warf ihm vor, Geld aus der gleichen Kasse zu erhalten, die Angriffe auf Krankenhäuser in Syrien finanziere. "Diese Leute, die das schreiben, sind sehr jung", sagte Schröder. "Mein Eindruck ist, dass sie versuchen, Formen von Diffamierung, die man aus den sozialen Medien kennt, in den Printbereich zu übertragen." Er fügte hinzu: "Wie man an der dramatisch sinkenden Auflage sieht, ist das nicht erfolgreich." 

 

Radikalität der sozialen Medien nicht überbieten

 

Er halte es auch grundsätzlich für Medien nicht für ratsam, die Radikalität, die in den sozialen Netzwerken verbreitet sei, überbieten zu wollen. "Diesen Wettbewerb kann der seriöse Journalismus nie gewinnen. Das Ergebnis würde ja sein, dass Journalismus diskreditiert wird", sagte Schröder. Er befürchte auch nicht, dass die scharfe und permanente Kritik an ihm den Dingen schade, für die er sich einsetze, etwa als Verwaltungsratschef des Pipeline-Betreibers Nord Stream.

 

Die Unternehmen entwickeln sich erfolgreich

 

"Die Unternehmen entwickeln sich erfolgreich. Ich sehe also nicht, warum man da auf solche Gedanken kommen sollte." 

Mit Russlands Präsident Wladimir Putin verbinde ihn eine persönliche Freundschaft, betonte Schröder. Dies sei bekannt "und bleibt auch so, egal, was da geschrieben wird". Bei der Kritik an seiner Haltung gehe es aber ohnehin nur mittelbar um ihn persönlich. "Ich halte die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland für entscheidend für die künftige politische und wirtschaftliche Entwicklung, die unser Kontinent nehmen wird. Das ist politisch umstritten, insofern steht man dann natürlich unter Feuer." Zwischen einem mächtiger werdenden China und einem Partner USA, der sich abwende, werde Deutschland Russland in Zukunft als Partner noch brauchen, begründete Schröder seine Überzeugung. 

 

 

Lange Zeit von Sozialhilfe gelebt

 

Schröder erklärt sein Beharren auf Sanktionen bei Hartz IV auch mit Erfahrungen seiner Kindheit. Seine Familie habe lange Zeit von Sozialhilfe gelebt, erklärte er. "Uns ging es in dem Sinne gut, dass wir genug zu essen hatten. Fleisch gab es zwar nur am Sonntag, und dann Pferdefleisch, weil es billiger war", erzählte der ehemalige SPD-Vorsitzende. Für jeden Extrawunsch aber habe man sich anstrengen müssen, auch als Kind. "Wenn wir etwas Taschengeld wollten, konnten wir beim Bauern arbeiten und bei der Ernte oder beim Verziehen der Rüben helfen und uns dann etwas kaufen." Dies habe seiner Entwicklung nicht geschadet, und: "Das prägt natürlich ein Verständnis von Leistung, das man hat, und Sie haben recht, ich sage auch vor dem Hintergrund meines eigenen Lebensweges: Sollte es nicht auch heute eine Selbstverständlichkeit sein mitzuwirken, wenn man staatliche Hilfen erhält?" 

 

Sanktionen gegen Arbeitslose ausschöpfen

 

Schröder riet seiner Partei aber auch aus anderem Grund dringend, den verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen bei Sanktionen gegen Arbeitslose bei Verstößen gegenüber dem Jobcenter auszuschöpfen. "Die SPD muss darüber nachdenken: Wie kommt das bei denjenigen an, die jeden Morgen zur Arbeit gehen, in der Verwaltung, im Laden oder in der Fabrik? Sie können nicht zu spät kommen oder gar nicht erscheinen, ohne dass ihnen daraus Konsequenzen drohen, bis hin zur Entlassung." Es sei wichtig, nicht "die Lebenswirklichkeit der Menschen zu verfehlen, die eigene Leistungen erbringen, um für sich selbst und ihre Familien zu sorgen und die mit ihren Steuern und Abgaben das soziale Sicherungssystem finanzieren". 

 

Respekt vor den arbeitenden Menschen

 

Bedürftige nicht zu fördern, ohne zu fordern, sei eine Frage des "Respekts, den man arbeitenden Menschen gegenüber erbringen sollte", fasste Schröder seine Haltung zusammen. Der frühere SPD-Chef stellte klar, dass er sich weiterhin als überzeugten Sozialdemokraten sehe, auch wenn er mit der neuen Parteiführung fremdele. "Ich bin deswegen Sozialdemokrat - und werde es, nebenbei bemerkt, auch bleiben -, weil ich an die stabilisierende Funktion der SPD für eine soziale Demokratie glaube." Die beiden neuen Vorsitzenden kenne er nicht gut und würde "nie so weit gehen, sie öffentlich zu kritisieren - anders als sie es umgekehrt mir gegenüber gemacht haben". Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hätten eine Chance verdient; er jedenfalls sei bereit, ihnen diese zu geben. pm, ots

 

English version

 

Former Chancellor Gerhard Schröder has condemned the US sanctions against the Nord Stream 2 pipeline project in harsh words. In an interview with the "Neue Osnabrücker Zeitung" he said, "the US wants to determine with whom we can and cannot trade. We must not accept this. We are not the 51st state of the USA." 

 

Schröder is president of the supervisory boards of the pipeline companies Nord Stream and Nord Stream 2, and he described US legislation against their activities as "arrogant". The sanctions, he said, were an interference in the internal affairs of the Federal Republic of Germany "such as I have not seen since reunification". The US action also affected not only business with Russia, but also with Iran and China. He considered the alleged attempt to contribute to Europe's energy security by law as the USA to be excessive. "Will we in the Bundestag decide on sanctions against the USA with a law to secure human rights on the American-Mexican border? There are reasons for this," Schröder turned the tables.

 

The new pipeline will soon be operational

 

The SPD politician expressed his conviction that the new pipeline through the Baltic Sea will soon go into operation. "The project is necessary for German, but also for European energy security. Therefore, it will come." The Nord Stream gas is cheaper than LNG, i.e. liquefied gas, and also easier to process for specialty chemicals, he said. "We are getting out of nuclear power and coal. We need an energy supply that is secure and enables prices that keep German industry alive and affordable for pensioners, workers and people who are not so fat," Schröder said. 

 

Alienation between the USA and Europe

 

The former Chancellor regretted the alienation between the United States and Europe. "What really worries me is something else," he added, however: "There is much talk about the relationship with the United States and Russia, but too little about our relationship with France." There are major shortcomings here, he said. "What is needed, especially after this devastating brexite, is a European political impulse: closer cooperation in security and foreign policy, coordination in economic and financial policy, more efforts in innovation and digitalisation. And this impulse must come from the two most important countries in the EU, Germany and France. 

 

Transferring defamation from social media to print

 

As Federal Chancellor Gerhard Schröder said that he needed "picture" and TV to govern. Today the "Bild" is biting its teeth out at him despite constant criticism. "I am sure that nobody takes them seriously anymore with this kind of personal attacks and campaigns, especially not me", said the SPD politician. Because of his work for Russian-influenced companies, Schröder described the "Bild" in recent weeks alone as "chief lobbyist of an authoritarian regime that has journalists murdered", or accused him of receiving money from the same fund that finances attacks on hospitals in Syria. "These people who are writing this are very young," Schröder said. "My impression is that they are trying to transfer forms of defamation known from the social media into print." He added: "As you can see from the dramatically decreasing circulation, this is not successful." 

 

Don't beat the radicalism of social media

 

He also considers it in principle not advisable for media to try to outdo the radicalism that is widespread in social networks. "Serious journalism can never win this competition. The result would be that journalism would be discredited," said Schröder. Nor is he afraid that the harsh and constant criticism of him will harm the things he stands up for, for example as head of the board of directors of the pipeline operator Nord Stream.

 

The companies are developing successfully

 

"The companies are developing successfully. So I don't see why anyone would think of that." 

Schröder emphasized that he has a personal friendship with Russian President Vladimir Putin. This is known "and will remain so, no matter what is written there". The criticism of his attitude, however, is only indirectly about him personally anyway. "I consider the cooperation between Germany and Russia to be decisive for the future political and economic development that our continent will experience. This is politically controversial, so one is naturally under fire." Between a China that is becoming more powerful and a partner USA that is turning away, Germany will still need Russia as a partner in the future, Schröder justified his conviction. 

 

Living on social welfare for a long time

 

Schröder also explains his insistence on sanctions for Hartz IV with experiences from his childhood. His family had lived on welfare for a long time, he explained. "We were fine in the sense that we had enough to eat. Meat was only available on Sundays, and then horse meat because it was cheaper," the former SPD leader said. But for every extra wish, one had to make an effort, even as a child. "If we wanted some pocket money, we could work at the farmer's and help with the harvest or with the forging of the beets and then buy something." This did not harm his development, and: "Of course, this shapes an understanding of achievement that one has, and you are right, I also say against the background of my own life path: shouldn't it also be a matter of course today to participate when one receives state aid? 

 

Exploiting sanctions against the unemployed

 

But Schröder also urged his party for other reasons to exhaust the constitutionally permissible framework for sanctions against the unemployed in the case of violations of the job centre. "The SPD has to think about this: How does it appeal to those who go to work every morning, in the administration, in the shop or in the factory? They can't be late or not show up at all without consequences, up to and including dismissal." It is important not to "miss the reality of the people who work to provide for themselves and their families and who finance the social security system with their taxes and contributions". 

 

Respect for working people

 

Not to support those in need without demanding is a question of "respect that should be shown towards working people", Schröder summarized his position. The former SPD leader made it clear that he still considers himself a convinced Social Democrat, even if he is at odds with the new party leadership. "I am a social democrat - and will, by the way, remain one - because I believe in the SPD's stabilizing function for a social democracy. He doesn't know the two new leaders well and would "never go so far as to criticize them publicly - unlike the way they did the other way round with me". Saskia Esken and Norbert Walter-Borjans deserve a chance; he is at least willing to give them one. pm, ots, mei