Virologe: Wir müssen uns auf zwei Millionen schwer erkrankte Covid19-Patienten einstellen

"Wir müssen uns umso dringlicher darauf konzentrieren, die Zahl der schweren Erkrankungen so gering wie möglich zu halten", sagte der Leiter der Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ).

 

"Wenn Ressourcen gebunden werden, um alles auf Eindämmung zu setzen, und die dann fehlen, um die Behandlung der Alten und Vorerkrankten zu optimieren, wäre das kontraproduktiv. Das darf nicht passieren." 

Die Einschätzung des Robert-Koch-Institutes, es könnten sich binnen drei Monaten zehn Millionen Menschen anstecken, "ist realistisch", sagte der HZI-Chefepidemiologe. Auf eine Zahl von zwei Millionen schwer erkrankter Covid-19-Patienten "müssen wir uns einstellen". Daran änderten auch Schul- und Geschäftsschließungen nichts. "Wir werden nicht mehr verhindern können, dass sich das Virus in der Gesellschaft verbreitet. Es ist zu erwarten, dass der Bremseffekt nicht von Dauer sein wird. Darauf weisen etwa Studien aus London hin. Womöglich gelingt es nur, den Gipfel der ersten Welle um wenige Wochen zu verzögern." 

 

Ausreichend Pflegekräfte können nicht in wenigen Wochen ausgebildet werden

 

Es werde aber nicht gelingen, in wenigen Wochen ausreichend Intensiv-Pflegekräfte auszubilden, sagte Krause. "Der Fall kann daher eintreten, dass wir nicht mehr jeden optimal behandeln werden können. Das werden wir akzeptieren müssen." Entscheidend sei deswegen, "dass wir uns auf die Versorgung der rund 20 Prozent Schwerbetroffenen fokussieren", sagte der Forscher und forderte: "Wir brauchen einen 'VIP-Zugang' für Vorerkrankte und Alte. Sie müssen optimal vor Infektionen bewahrt werden, und für sie muss bei Diagnostik, Abklärung, Überwachung und medizinischer Versorgung absoluter Vorrang gelten. Hier können wir noch mehr tun." 

 

Experte warnt vor Ausgangssperre

 

Eindringlich warnte der Experte vor der Verhängung einer Ausgangssperre. "Massive Eingriffe in den gesellschaftlichen Ablauf - etwa ein Ausgehverbot - können auch die Gesundheitsversorgung gravierend beeinträchtigen", sagte Krause. "Die Produktion medizinischer Güter und Medikamente muss gewährleistet bleiben, etwa die Produktion von Insulin. Gleiches gilt für die Versorgung mit Lebensmitteln." Und ein Einsatz staatlicher Gewalt, um eine Ausgangssperre umzusetzen, "würde Probleme an anderen Stellen schaffen, die wir nicht gebrauchen können". 

 

Kein baldiger Durchbruch bei einem Impfstoff

 

Bei der Suche nach einem Covid-19-Impfstoff erwartet der Epidemiologe keinen baldigen Durchbruch. "Die Erfahrung lehrt: Die Erwartung, ein Impf- oder Wirkstoff sei bald zur Hand, und die Möglichkeiten werden zu Beginn von Epidemien in der Regel dramatisch überschätzt. Wir müssen Strategien entwickeln, die erst einmal ohne einen Impfstoff auskommen." pm, ots

 

English version

 

Helmholtz chief epidemiologist Gérard Krause has called for a change in strategy in the fight against the corona pandemic in view of the soaring case numbers. We must concentrate all the more urgently on keeping the number of serious diseases as low as possible," said the head of epidemiology at the Helmholtz Centre for Infection Research (HZI) in an interview with the "Neue Osnabrücker Zeitung" (NOZ).

 

"It would be counterproductive if resources were tied up to put everything on containment, and then lacking the resources to optimise the treatment of the elderly and previously ill. This must not happen." The estimate of the Robert Koch Institute that ten million people could become infected within three months "is realistic", said the HZI chief epidemiologist. We must be prepared for a number of two million seriously ill Covid-19 patients. School and business closures did not change this. "We will no longer be able to prevent the virus from spreading in society. "It is to be expected that the braking effect will not last. Studies from London, for example, indicate this. "It is possible that we can only delay the peak of the first wave by a few weeks." 

 

Sufficient care workers cannot be trained in a few weeks.

 

However, Krause said that it would not be possible to train enough intensive care workers in a few weeks. "The case may therefore arise that we can no longer treat everyone optimally. We will have to accept that." It is therefore crucial "that we focus on the care of the 20 percent of severely affected patients", said the researcher and demanded: "We need a 'VIP access' for those with pre-existing conditions and the elderly. They must be optimally protected from infections and must be given absolute priority in diagnostics, clarification, monitoring and medical care. We can do more here." 

 

Expert warns of curfew

 

The expert warned urgently of the imposition of a curfew. "Massive interventions in the course of social events - such as a curfew - can also seriously impair health care," said Krause. "The production of medical goods and medicines must remain guaranteed, for example the production of insulin. The same applies to the supply of food." And the use of governmental force to implement a curfew "would create problems in other places that we don't need". 

 

No breakthrough in vaccines any time soon

 

The epidemiologist does not expect a breakthrough in the search for a Covid-19 vaccine any time soon. "Experience teaches that the expectation that a vaccine or active substance will soon be available and the possibilities are usually dramatically overestimated at the beginning of epidemics. "We need to develop strategies that do not require a vaccine in the first place." pm, ots, mei