Geringes Ansehen von systemrelevanten Berufen außerhalb von Krisenzeiten - Teil 2

In aktuellen Zeiten liegt der Gedanke nahe, dass sich die Unverzichtbarkeit all dieser Berufe in ihrer Entlohnung sowie ihrer gesellschaftlichen Anerkennung widerspiegeln müsste. Tatsächlich erweist sich jedoch die Gruppe systemrelevanter Berufe als durchaus heterogen, was die Darstellung der prozentualen Abweichungen vom Durchschnitt im Hinblick auf Lohn und Berufsprestige veranschaulicht.

 

Es zeigt sich, dass für die Gesamtheit der systemrelevanten Berufe häufig – aber nicht immer – eine geringe Wertschätzung in Form von niedrigen Löhnen mit einer geringen gesellschaftlichen Anerkennung einhergeht. Einige der system-relevanten Berufe, wie die bereits genannten Human- und ZahnmedizinerInnen, genießen ein besonders hohes Ansehen, das weit über dem Durchschnitt aller Berufe liegt. Sie werden auch weit überdurchschnittlich entlohnt.

 

Prestige und Entlohnung verlaufen gegensätzlich

 

Für manche Berufsgruppen laufen Prestige und Entlohnung auch in gegensätz-liche Richtungen: AltenpflegerInnen erhalten ein deutlich unterdurchschnittliches Erwerbseinkommen, jedoch eine zumindest durchschnittliche Anerkennung. Der Bereich der Steuerung und Überwachung des Verkehrsbetriebs ist ein Beispiel für eine Berufsgruppe, bei der es umgekehrt ist: Überdurchschnittlicher Stundenlohn, dafür weniger gesellschaftliche Anerkennung. Für die Gruppe der Polizei-, Gerichts- und Justizvollzugsberufe lässt sich dieselbe Tendenz erkennen, wenn auch jeweils nur mit geringfügiger Abweichung vom Durchschnitt.

 

Systemrelevante Berufe werden überwiegend von Frauen ausgeübt

 

Eine weitere Ebene der Diskussion um die aktuell systemrelevanten Berufe ist die Frage, zu welchem Anteil Männer und Frauen die unverzichtbaren Tätigkeiten ausüben. Die Betrachtung des Frauenanteils in den einzelnen Berufsgruppen zeigt deutlich, dass jene größtenteils unterdurchschnittlich bezahlten und angesehenen Aufgaben überwiegend von Frauen gestemmt werden. Der Frauenanteil in den systemrelevanten Berufsgruppen insgesamt liegt bei knapp 75 Prozent.

 

Frauenanteil von über 70 Prozent

 

Ein maßgeblicher Teil der systemrelevanten Berufe hat einen Frauenanteil von über 70 Prozent. Diese werden hier als „Frauenberufe“ bezeichnet. Jene Berufsgruppen, die als „Männerberufe“ klassifiziert werden, nämlich solche mit weniger als 30 Prozent Frauenanteil, machen nur einen kleinen Teil der systemrelevanten Berufe aus: Als FahrzeugführerInnen oder Angestellte im technischen Betrieb des Eisenbahnverkehrs zum Beispiel sind weniger als ein Prozent aller systemrele-vanten Beschäftigen tätig.

 

Die Verdienstlücke zwischen Frauen und Männern

 

Die Herausforderungen der aktuellen Situation werden somit zu einem erheblichen Teil von Frauen getragen. Darüber hinaus gibt es auch in diesen Berufsgruppen einen deutlichen Gender Pay Gap in Höhe von 16 Prozent. Zwar ist die Verdienstlücke zwischen Frauen und Männern in diesen Bereichen kleiner als im Durchschnitt aller Berufe in Deutschland (20 Prozent). Dies liegt jedoch zum Teil daran, dass das Lohnniveau in diesen Berufsgruppen auch insgesamt gering ist.

 

Die Reinigungsberufe als Beispiel

 

Ein Beispiel sind die Reinigungsberufe, in denen Vorgaben wie der Mindestlohn stärkere Diskrepanzen kaum ermöglichen. In den systemrelevanten Berufen, in denen das Lohnniveau insgesamt und gleichzeitig auch der Frauenanteil hoch ist, etwa in den Pharmazieberufen und der Humanmedizin, ist auch der Gender Pay Gap hoch. Hier liegt der Lohn der Männer 40 beziehungsweise 21 Prozent über dem der Frauen. Vergleicht man dies mit einer ähnlich großen systemrelevanten Gruppe, in der aber vorwiegend Männer arbeiten, zum Beispiel den IT-Berufen, zeigt sich ein deutlich kleinerer Gender Pay Gap von drei Prozent. Nicht nur sind also knapp drei Viertel der in systemrelevanten Berufen tätigen ArbeitnehmerInnen Frauen, sondern darüber hinaus werden diese, vor allem in „Frauenberufen“ mit vergleichsweise hohem Lohnniveau, deutlich schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen.

 

Fazit: Verbesserung der Arbeitsbedingungen und höhere gesellschaftliche Anerkennung nötig

 

Der aktuelle Krisennotstand zeigt ganz deutlich: Ohne bestimmte Berufsgruppen geht es nicht. Klatschen auf Balkonen und warme Worte von politischen Akteuren, die sich für den laufenden Einsatz von Pflegekräften, KassiererInnen und ErzieherInnen in der Kindernotbetreuung bedanken, sind eine wichtige Form der Würdigung von Systemrelevanz. Allerdings ist sie weder ausreichend noch nachhaltig.

 

Unterdurchschnittliche Wertschätzung

 

Gemessen am Einkommen und sozialem Prestige erfährt eine deutliche Mehrheit der systemrelevanten Beschäftigten eine nur unterdurchschnittliche Wert-schätzung. Hinzu kommt noch, dass viele dieser Berufsgruppen von akutem Personalmangel betroffen sind, was die gesundheitlichen Risiken und körperlichen Belastungen für die Beschäftigten in diesen Bereichen noch erhöht.

 

Bessere Entlohnung und tarifvertragliche Absicherung

 

Neben einem verantwortungsvollen Umgang mit diesem Fachkräftemangel sind unter anderem eine bessere Entlohnung und tarifvertragliche Absicherung nötig. Die aktuelle Situation zeigt deutlich, dass eine Debatte über die Rolle der Daseinsfürsorge in Deutschland überfällig ist. Ebenso schnell wie Konsens darüber bestand, welche Berufsgruppen angesichts der Krise zu den unverzicht-baren Kräften des gesellschaftlichen (Über-)Lebens gehören, so schnell sollten sich diese konkreten Maßnahmen umsetzen lassen, um zu einer höheren Entlohnung, besseren Arbeitsbedingungen sowie einer allgemeinen Aufwertung bestimmter Berufe beizutragen. Weiterhin kann die höhere gesellschaftliche, aber vor allem finanzielle Aufwertung dieser Berufe dazu führen, dass sich die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen reduziert. pm, diw

 

Quelle: DIW aktuell von Aline Zucco, Claire Samtleben, Annekatrin Schrenker, Josefine Koebe

 

English version

 

In current times, the idea suggests itself that the indispensability of all these professions should be reflected in their remuneration and social recognition. In fact, however, the group of system-relevant occupations proves to be quite heterogeneous.

 

An analysis by the German Institute for Economic Research (DIW) suggests that the indispensability of all these occupations should be reflected in their remuneration and social recognition. In fact, however, the group of systemically important occupations proves to be quite heterogeneous, as illustrated by the presentation of the percentage deviations from the average in terms of pay and occupational prestige.

 

It can be seen that for the group of systemically important occupations as a whole, low esteem in the form of low wages is often - but not always - accompanied by low social recognition. Some of the system-relevant professions, such as the humanities and dentistry mentioned above, enjoy a particularly high esteem that is far above the average for all professions. They are also remunerated far above average.

 

Prestige and remuneration are contradictory

 

For some professional groups, prestige and remuneration also run in opposite directions: Nurses for the elderly receive a clearly below-average earned income, but at least average recognition. The area of controlling and monitoring transport operations is an example of a professional group where it is the other way round: above-average hourly wage, but less social recognition. The same tendency can be seen for the group of police, court and prison professions, albeit with only slight deviation from the average in each case.

 

Systemically important occupations are predominantly performed by women

 

A further level of the discussion on the current systemically important occupations is the question of the proportion of men and women who perform the indispensable tasks. An examination of the proportion of women in the individual occupational groups clearly shows that those tasks that are paid and regarded as below-average are predominantly performed by women. The proportion of women in the systemically important occupational groups as a whole is just under 75 per cent.

 

Proportion of women over 70 percent

 

A significant proportion of the systemically important occupations have a female share of over 70 per cent. These are referred to here as "female occupations". Those occupational groups that are classified as "male occupations", namely those with less than 30 per cent female participation, make up only a small part of the systemically important occupations: For example, less than one percent of all systemically relevant employees work as vehicle drivers or employees in the technical operation of railway transport.

 

The earnings gap between women and men

 

The challenges of the current situation are thus borne to a considerable extent by women. In addition, there is also a clear gender pay gap of 16 percent in these occupational groups. It is true that the pay gap between women and men in these areas is smaller than the average for all occupations in Germany (20 percent). However, this is partly due to the fact that the wage level in these occupational groups is also low overall.

 

The cleaning professions as an example

 

One example is the cleaning professions, where regulations such as the minimum wage hardly allow for greater discrepancies. The gender pay gap is also high in the systemically important occupations where the overall wage level is high and the proportion of women is also high, for example in the pharmaceutical occupations and human medicine. Here, men's wages are 40 and 21 percent higher than women's. If we compare this with a similarly large system-relevant group in which, however, it is predominantly men who work, for example in IT professions, a significantly smaller gender pay gap of three percent becomes apparent. So not only are almost three quarters of the employees working in systemically important occupations women, but in addition, especially in "women's occupations" with comparatively high wage levels, they are paid considerably less than their male colleagues.

 

Conclusion: Improvement of working conditions and higher social recognition necessary

 

The current crisis emergency shows quite clearly that it is not possible without certain professional groups. Clapping on balconies and warm words from political actors thanking for the ongoing commitment of nurses, cashiers and educators in emergency childcare are an important way of acknowledging systemic relevance. However, it is neither sufficient nor sustainable.

 

Below-average appreciation

 

Measured in terms of income and social prestige, a clear majority of the systemically important employees experience only a below-average valuation. In addition, many of these occupational groups are affected by acute staff shortages, which further increases the health risks and physical stress for employees in these areas.

 

Better pay and collective bargaining coverage

 

In addition to dealing responsibly with this shortage of skilled workers, there is a need for better pay and collective bargaining coverage. The current situation clearly shows that a debate on the role of welfare in Germany is overdue. Just as quickly as consensus was reached on which occupational groups are among the indispensable forces for social (survival) in the face of the crisis, so quickly should these concrete measures be implemented to contribute to higher pay, better working conditions and a general upgrading of certain professions. Furthermore, the higher social, but above all financial, upgrading of these professions can lead to a reduction in the wage gap between men and women. pm, diw, mei

 

Source: DIW aktuell by Aline Zucco, Claire Samtleben, Annekatrin Schrenker, Josefine Koebe