Rechtsprofessor: Viele Grundrechte wurden während der Corona-Krise drastisch eingeschränkt

Herr Professor Härting, können sich Menschen durch das Tragen einer Maske in Ihren Grundrechten eingeschränkt fühlen?

 NIKO HÄRTING: Ja, das Grundgesetz schützt die allgemeine Handlungsfreiheit. Wenn ich keinen Supermarkt und Buchhandlung ohne „Mund-Nasen-Bedeckung“ betreten darf, schränkt dies die Handlungsfreiheit ein. Dies gilt ganz besonders für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, für die es keine Ausnahmen gibt. Für Taubstumme bedeutet die Maskenpflicht ein Kommunikationsverbot.

 

Gibt es rechtliche Möglichkeiten, sich gegen das Tragen einer Maske zu wehren?

 

HÄRTING: Ja, man kann sich gegen die Maskenpflicht durch einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht wehren. Der Ausgang solcher Verfahren ist ungewiss.

 

Müssen Menschen, die von Covid-19 geheilt sind, auch Masken tragen? Können diese gegen das Tragen einer Maske juristisch vorgehen?

 

HÄRTING: Ja, die Maskenpflicht gilt auch für Geheilte. Wer sich dagegen wehren möchte,  sollte einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht stellen.

 

Wie stark kann das Nichttragen einer Maske "kriminalisiert" werden? Reichen die polizeilichen Mittel, um Verstöße zu ahnden?

 

HÄRTING: Auf der Website der hessischen Landesregierung heißt es, man wolle „wiederholte Verstöße“ mit einem Bußgeld von 50 Euro ahnden. Eine Rechtsgrundlage für diesen Betrag findet man nicht. Des Weiteren heißt es, man werde „von Fall zu Fall“ entscheiden, welche Strafen man gegen Ladenbesitzer verhängt, die die Maskenpflicht nicht durchsetzen. Keine Strafe ohne Gesetz. Dies ist ein Verfassungsgrundsatz, den man in Hessen bei der Maskenpflicht offenkundig nicht so genau nimmt. Wer eine Strafe kassiert, sollte zu einem Anwalt seines Vertrauens gehen. 

 

Welche Grundrechte wurden im Rahmen der Pandemie eingeschränkt?

 

HÄRTING: Es gibt kaum ein Grundrecht, das derzeit nicht drastisch eingeschränkt ist: die Freizügigkeit, die Religions- und Versammlungsfreiheit, die Berufsfreiheit ganzer Berufsgruppen, die ihren Beruf nicht ausüben können, die Eigentumsfreiheit ganzer Branchen. Berührt sind auch das Grundrecht auf Ehe und Familie und die Unverletzlichkeit der Wohnung, wenn in Corona-Verordnungen Besuchsverbote angeordnet werden. 

 

Wo sehen Sie hierbei die stärkste(n) Einschränkung(en)?

 

HÄRTING: Im Vergleich zu den anderen Grundrechtsbeschränkungen ist die Maskenpflicht ein milder Eingriff. Besonders problematisch sind die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, das Gottesdienstverbot und – in vielen Bundesländern – Verbote, in der eigenen Wohnung Besuch von Freunden und Angehörigen zu empfangen.

 

Bewegt sich hierbei die Regierung auf juristisch sicheren Terrain?

 

HÄRTING: Nein. Das Bundesverfassungsgericht wird eines Tages entscheiden, ob es überhaupt zulässig war, Grundrechtsbeschränkungen – an den Parlamenten vorbei – auf dem Verordnungsweg zu erlassen. Ich meine nein. Es handelt sich um die gravierendsten Einschränkungen, die das Grundgesetz je gesehen haben. Die Einschränkungen sind teilweise exzessiv und werden vor dem Bundesverfassungsgericht früher oder später äußerst kritisch geprüft werden.

 

Was ist von einer Corona-App zu halten?

 

HÄRTING: Über eine Corona-App wird seit Wochen diskutiert. Es gibt sie aber noch gar nicht. Erst wenn es eine funktionierende App gibt, wird man sagen können, ob sie hält, was viele sich von ihr versprechen. Eine Politik, die auf eine noch zu entwickelnde App und einen künftigen Impfstoff setzt, verstehe ich nicht. Man verspricht sich Wunderdinge von Wissenschaft und Technik und hat keinen Plan B.

mei

 

Zur Person: Niko Härting (Jahrgang 1964) studierte an der Freien Universität Berlin (FU) und gründete 1996 Härting Rechtsanwälte. Er lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Recht und der FU Berlin.

 

English version

 

An interview with Niko Härting, Professor at the Berlin School of Economics and Law, about the introduction of compulsory masks and the restriction of other basic rights during the Corona pandemic.

 

Professor Härting, can people feel restricted in their basic rights by wearing a mask?

 

NIKO HÄRTING: Yes, the Basic Law protects the general freedom of action. If I am not allowed to enter a supermarket or bookstore without "mouth and nose cover", this restricts my freedom of action. This applies especially to people with physical disabilities, for whom there are no exceptions. For deaf and dumb people, the obligation to wear a mask means a ban on communication.

 

Are there legal possibilities to defend oneself against wearing a mask?

 

HÄRTING: Yes, you can defend yourself against the obligation to wear a mask by filing an urgent application with the administrative court. The outcome of such proceedings is uncertain.

 

Do people who are cured of Covid-19 also have to wear masks? Can they take legal action against wearing a mask?

 

HÄRTING: Yes, the obligation to wear a mask also applies to people who are cured. Those who wish to oppose this should file an urgent application with the Administrative Court.

 

To what extent can not wearing a mask be "criminalised"? Are the police resources sufficient to punish violations?

 

HÄRTING: On the website of the Hessian state government it says that they want to punish "repeated offences" with a fine of 50 euros. There is no legal basis for this amount. Furthermore, it is said that it will be decided "on a case-by-case basis" which penalties will be imposed on shop owners who do not enforce the obligation to wear masks. No punishment without law. This is a constitutional principle which is obviously not taken very seriously in Hesse when it comes to the obligation to wear masks. Anyone who gets a fine should go to a lawyer he trusts. 

 

What fundamental rights were restricted in the pandemic?

 

HÄRTING: There is hardly a fundamental right that is not currently drastically restricted: freedom of movement, freedom of religion and freedom of assembly, freedom of occupation for entire occupational groups that are unable to exercise their profession, freedom of ownership for entire industries. The fundamental right to marriage and family and the inviolability of the home are also affected when visitation bans are imposed in Corona ordinances. 

 

Where do you see the strongest restriction(s)? 

 

HÄRTING: Compared to the other restrictions on fundamental rights, the obligation to wear a mask is a mild intervention. Particularly problematic are the serious restrictions on freedom of assembly, the ban on worship and - in many federal states - bans on receiving visits from friends and relatives in one's own home.

 

Is the government moving into legally secure territory here?

 

HÄRTING: No. One day the Federal Constitutional Court will decide whether it was at all permissible to issue decrees restricting fundamental rights - bypassing the parliaments. I mean no. These are the most serious restrictions that the Basic Law has ever seen. Some of the restrictions are excessive and will sooner or later be examined extremely critically by the Federal Constitutional Court.

 

What do you think about a Corona App?

 

HÄRTING: There have been discussions about a corona app for weeks. But it does not exist yet. Only when there is a functioning app will it be possible to say whether it does what many people expect it to do. I don't understand a policy that focuses on an app yet to be developed and a future vaccine. People are expecting miracles from science and technology and have no plan B. mei

 

About the person: Niko Härting (born 1964) studied at the Free University of Berlin (FU) and founded Härting Rechtsanwälte in 1996. He teaches at the Berlin School of Economics and Law and the FU Berlin.