Studie: Warum die Corona-Pandemie die Selbstständigen und Freiberufler in eine große Krise stürzt - Die Hilfen sind nicht zielgenau

In Deutschland gibt es rund vier Millionen Selbständige und Inhaberinnen und Inhaber von kleinsten und kleinen Unternehmen. Das sind knapp zehn Prozent aller Erwerbstätigen. Diese Gruppe – in der folgenden Untersuchung unter dem Begriff Selbständige zusammengefasst – hat unter den Einschränkungen der vergangenen Wochen besonders gelitten.

 

Während in der Corona-Krise die sozialversicherungspflichtigen abhängig Beschäftigten durch Kurzarbeitergeld vorläufig vor größeren Einkommensverlusten geschützt sind, erhalten Selbständige lediglich Soforthilfen des Bundes zur Deckung der Betriebsausgaben. Zur Kompensation ihres „Unternehmerlohns“ werden sie auf die dafür weniger geeignete Grundsicherung verwiesen.

 

Die Grundlagen der Studie

 

Wie sich die Covid-19-Pandemie, sei es durch staatlich verfügte Ausgangsbeschränkungen oder auch durch Konsumzurückhaltung, auf die Arbeitssituation, Umsätze, Einkünfte und Liquidität der Selbständigen in den Monaten April und Mai 2020 (also in der Zeit der Ausgangssperren) im Vergleich zum Monat Februar 2020 (also unmittelbar vor den Ausgangssperren) wirtschaftlich ausgewirkt hat, wird anhand von Daten der Langzeitbefragung Soziooekonomisches Panel (SOEP) untersucht. Diese wurden um die Befragungsergebnisse der SOEP-CoV-Studie ergänzt, einer seit dem 1. April laufenden telefonischen Zusatzbefragung im Rahmen einer zufällig gezogenen Stichprobe von SOEP-Haushalten, in der auch Selbständige befragt werden. Bei dem anschließenden Vergleich mit abhängig Beschäftigten kommen sowohl objektive Indikatoren wie das Erwerbseinkommen als auch subjektive Indikatoren wie Sorgen oder Lebenszufriedenheit zum Tragen.

 

Massive Umsatzeinbußen und Einkommensrückgänge bei Selbständigen 

 

Die mit der Covid-19-Pandemie verbundenen Einschränkungen und Unsicherheiten haben sich auf vielfältige Weise auf das Wirtschaftsleben ausgewirkt. Entsprechend gab in der SOEP-CoV-Befragung knapp die Hälfte der befragten Selbständigen an, dass sie von den Regelungen zu den Öffnungszeiten betroffen waren. Ebenso viele gaben an, dass Kunden ihre Bestellungen storniert haben oder die Nachfrage weggebrochen sei, weil beispielsweise Auftraggeber ihre Dienstleistungen nicht mehr nachfragten. In jeder siebten Unternehmung geriet die Produktion aufgrund von Lieferschwierigkeiten ins Stocken. Insgesamt waren zwei Drittel aller Selbständigen von diesen Veränderungen betroffen. Ebenfalls knapp die Hälfte der Selbständigen hat ihre berufliche Tätigkeit teilweise oder sogar vollständig in die heimische Wohnstätte verlegt.

 

Die Arbeitszeit verändert sich während der Pandemie

 

Auch in Bezug auf die Arbeitszeit machen sich die Folgen der Pandemie und die zu deren Eindämmung beschlossenen Einschränkungen bemerkbar. Nur knapp 37 Prozent aller Selbständigen gaben an, ihre Arbeitszeit hätte sich in dieser Phase nicht verändert. Für manche, etwa zwölf Prozent, stieg die Zahl der gearbeiteten Stunden sogar an, im Schnitt um elf Stunden in der Woche. Für gut die Hälfte der Selbständigen hat sich aber die Arbeitszeit verringert. Die Reduktionen waren erheblich. Im Schnitt arbeiteten die in dieser Form negativ betroffenen Selbständigen fast 16,5 Stunden weniger pro Woche als vor der Krise.

 

Selbstständige verzeichnen starke Umsatzrückgänge

 

Bei vielen Unternehmungen haben sich die Einschränkungen auf den generierten Umsatz ausgewirkt. 57 Prozent aller Selbständigen verzeichneten einen zum Teil starken Umsatzrückgang. Im Schnitt erzielten die negativ betroffenen Unternehmungen etwas mehr als ein Drittel ihres Vorkrisenumsatzes. Weniger als 40 Prozent der befragten Selbständigen notierten keine Umsatzveränderungen. Wenigen gelang eine Umsatzsteigerung.

 

Wenig Mittel, um den Betrieb aufrecht zu erhalten

 

Die Veränderungen von Arbeitszeit und Umsatz haben sich auch auf die realisierten Bruttoeinkommen ausgewirkt. Fast drei von fünf Selbständigen hatten Einkommensrückgänge zu beklagen, nur bei 39 Prozent blieb das Einkommen gleich. In der Folge verfügt knapp die Hälfte der Selbständigen, deren Umsätze einbrachen, auch nur noch über Liquiditätsreserven bis zu drei Monaten, um den Betrieb aufrecht zu erhalten, weitere jeweils knappe 20 Prozent haben Reserven für sechs beziehungsweise zwölf Monate. Zwölf Prozent der Selbständigen sind so liquide, dass sie Umsatzeinbußen über ein Jahr aushalten können. Dementsprechend gab im Erhebungszeitraum auch rund die Hälfte der Selbständigen mit Umsatzeinbußen an, dass sie bereits staatliche Unterstützungsmaßnahmen nutzen. Von den Selbständigen mit abhängig Beschäftigten hat gut die Hälfte vom Instrument der Kurzarbeit Gebrauch gemacht, das ihnen erlaubt, den Umfang der Arbeitszeit ihrer Angestellten zu reduzieren.

 

Selbständige trifft die Krise viel stärker als abhängig Beschäftigte 

 

Während Nachfrageeinbrüche sich unmittelbar auf das Einkommen von Selbständigen auswirken, sind abhängig Beschäftigte in der Pandemie von Umsatzeinbrüchen ihres Arbeitgebers primär dann betroffen, wenn sie in Kurzarbeit geschickt oder entlassen werden oder wenn keine Überstunden mehr anfallen. Von allen sozialversicherungspflichtigen abhängig Beschäftigten des Jahres 2019 arbeiteten im April/Mai 2020 rund 18 Prozent in Kurzarbeit. Das führt zu einem eindeutigen Gesamtbild: 52 Prozent aller Selbständigen hatten Verringerungen ihrer Arbeitszeit zu verzeichnen. Hingegen berichtete bei den abhängigen Beschäftigten nur jede fünfte Person von einer solchen Abnahme, meist wohl durch Kurzarbeit bedingt. Ins Home-Office wechselten mehr Selbständige als abhängig Beschäftigte, auch wenn die Unterschiede hier geringer ausfielen.

 

Härtere Konsequenzen als bei Arbeitnehmern

 

Markant sind die finanziellen Konsequenzen für Selbständige, auch im Vergleich zu abhängig Beschäftigten. Fast drei von fünf Selbständigen mussten Einkommenseinbußen aushalten, bei den abhängig Beschäftigten traf das auf 15 Prozent zu. Der Umfang der Einkommenseinbußen unterscheidet sich deutlich. Während das Kurzarbeitergeld bei abhängig Beschäftigten die Verdienstausfälle (in Höhe von bis zu 67 Prozent des Nettoverdienstes) ausgleicht, erhalten Selbständige kaum Ausgleich für ihre Einkommensverluste. So dürfen die Soforthilfen des Bundes ausschließlich zur Deckung von Betriebsausgaben verwendet werden.

 

Umsatzrückgänge zwischen 67 und 100 Prozent

 

In der Gesamtschau hatten alle betroffenen abhängig Beschäftigten (also 15 Prozent aller abhängig Beschäftigten) im mittleren Wert Einbußen von bislang brutto rund 400 Euro zu verkraften. Der mittlere Einkommensverlust der Selbständigen lag dagegen bei mehr als dem Dreifachen der abhängig Beschäftigten.Das ist auch nicht verwunderlich, beklagte doch fast die Hälfte der Selbstständigen Umsatzrückgänge zwischen 67 und 100 Prozent. Entsprechend häufiger erwarteten Selbständige, dass sie in Folge der Krise in Geldprobleme geraten, auf ihre Ersparnisse und Vermögensanlagen zurückgreifen oder Sozialleistungen beantragen müssen.

 

Selbstständige machen sich große Sorgen

 

Angesichts der Tatsache, dass die Krise die Selbständigen viel stärker getroffen hat als die abhängig Beschäftigten, ist es wenig verwunderlich, dass sich die Selbständigen große Sorgen machen. Lag der Anteil derer, die sich zwischen 2015 und 2019 große Sorgen um das gesamtwirtschaftliche Geschehen machten, ähnlich dem der Angestellten bei konstant zehn Prozent, hat nach den Corona-Maßnahmen fast jede zweite Person unter den Selbständigen große Sorgen – das sind signifikant mehr als unter den abhängig Beschäftigten. Noch deutlicher treten die Unterschiede zu Tage, wenn die Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation in den Blick genommen werden. Während sich bei den abhängig Beschäftigten hier bislang – mit Ausnahme der von Kurzarbeit betroffenen Personen – kaum Änderungen beobachten lassen, ist unter den Selbständigen jede sechste Person in großer Sorge.

 

 Große Zahl von Geschäftsaufgaben verhindern

 

Es gilt nun, eine große Zahl von Geschäftsaufgaben zu verhindern, damit auch dieser Teil der Unternehmensstruktur noch intakt ist und nicht zusätzliche Jobs verloren gehen. Darüber hinaus gibt es einen weiteren wichtigen gesellschaftlichen Grund, Selbständige von der Abkehr von dieser Erwerbsform zu bewahren. Unter Umständen droht die zuletzt positive Einstellung in Deutschland zu Gründungen und Selbständigkeit Schaden zu nehmen – gerade weil die Selbständigen den Einbruch in der Nachfrage nicht selbst zu verantworten haben und sich vom Staat weniger unterstützt fühlen als abhängig Beschäftigte. Dies könnte sich zukünftig grundlegend negativ auf die generelle Bereitschaft zu selbständiger Tätigkeit auswirken.

 

 Überbrückungshilfen für kleine Unternehmen

 

Insofern ist es zu begrüßen, dass im Eckpunktepapier des Koalitionsausschusses im Bund vom 3. Juni 2020 auch für kleine Unternehmen ein Programm für Überbrückungshilfen aufgelegt wird, das den krisenbedingten Umsatzausfall auffangen soll. Allerdings ist auch dieses Paket auf die Erstattung von fixen Betriebskosten beschränkt. Diese Hilfen lösen somit nur zu einem begrenzten Teil die Liquiditätsengpässe von Selbständigen. Insofern sollte bei der Ausgestaltung des Programms der Situation der Solo-Selbständigen und Kleinstunternehmungen stärker Rechnung getragen werden, anstatt sie auf die für solche Fälle weniger ausgelegte Grundsicherung zu verweisen. Eine naheliegende Alternative kann der Weg sein, den – Stand Mitte Mai – das Land Baden-Württemberg vorgeschlagen hat. Demnach könnten Selbständige im Rahmen der Soforthilfen auch einen fiktiven Unternehmerlohn in Höhe der Pfändungsfreigrenze von 1.180 Euro pro Monat als Betriebskosten ansetzen.

 

Die Hilfen sind nicht zielgenau

 

Aber auch solche Hilfen sind nicht zielgenau. Vorbild für eine alternative Ausgestaltung könnten die Soforthilfen für Selbständige in europäischen Nachbarländern sein. So könnten Selbständige eine Unterstützung zur Deckung privater Lebenskosten erhalten, die von den Finanzämtern gewährt wird. Eine konkrete Ausgestaltung sähe vor, Selbständigen für die Phase der Corona-Krise finanzielle Hilfen zu gewähren, wenn sie im Vergleich zum Durchschnitt der letzten zwölf Monate vor Beginn der Krise Umsatzeinbrüche von mehr als 50 Prozent hinnehmen mussten. Diesen Betroffenen würde jeden Monat der über 50 Prozent hinausgehende Umsatzverlust zu 80 Prozent ersetzt. Maximal würden sie bis zu 2000 Euro erhalten, solange ihr Umsatz einen bestimmten Betrag im Jahr nicht übersteigt. Eine solche Unterstützung wäre zielgenau, rasch umsetzbar und auf die individuellen Bedarfe ausgerichtet, da jeden Monat nur Selbständige mit entsprechenden Umsatzrückgängen Hilfen erhielten. Gleichzeitig würde diese Unterstützung Umsatzausfälle in angemessener Form berücksichtigen und Mitnahme- und Betrugsfälle ebenso wie die Überzahlung von Soforthilfen ausschließen, da die Finanzämter über Informationen zu den Umsätzen der Unternehmungen aus den vergangenen Jahren verfügen. Eine solche Form der Soforthilfe für Selbständige wäre auch für Deutschland überlegenswert.

Quelle: DIW Aktuell, Autoren: Alexander S. Kritikos, Daniel Graeber, Johannes Seebauer