Schäuble über Fehler bei der Wiedervereinigung - Bergmann-Pohl kritisiert Gutmenschen in der Flüchtlingskrise - Pressetrend Mainstream

Der einstige bundesdeutsche Verhandlungsführer beim Einigungsvertrag sagte, "wir haben uns zu wenig in die Menschen, die 40 Jahre lang in einem anderen Teil Deutschlands gelebt haben, und auch in diesen anderen Staat, hineinversetzt. Wir haben nicht hinreichend verstanden, was für ganz andere Erfahrungen die Ostdeutschen hatten." Er sagte weiter, man lerne als Westdeutscher, dass wir 1990 geglaubt haben, wir wüssten, wie's geht. Bei uns hat die Demokratie ja wunderbar funktioniert." 

 

"Es gibt zu viele Gutmenschen bei uns"

 

Sabine Bergmann-Pohl (CDU), die Präsidentin der ersten und letzten frei gewählten DDR-Volkskammer und damit auch das letzte Staatsoberhaupt des untergegangenen Landes, entgegnete: "Sie müssen sich einfach in Menschen hineinversetzen, die vorher unter einer Käseglocke gelebt haben, wo der Staat alles für sie geregelt hat. Das veränderte sich bruchartig 1990. Die Menschen wurden in die Freiheit entlassen und waren nicht darauf vorbereitet. Nur kann ich nicht mehr hören, wenn mir Leute sagen, es hätte damals langsamer gehen müssen, man hätte Menschen vorbereiten müssen. Alles Quatsch." Bezogen auf die Flüchtlingskrise sagte Bergmann-Pohl dem "Tagesspiegel am Sonntag": "Es gibt gute Argumente, warum wir nicht alle Flüchtlinge aufnehmen können. Es gibt so viele Gutmenschen bei uns, die sich von heute auf morgen eine bessere und schönere Welt wünschen. Aber wir leben nicht auf Wolke sieben." 

 

Ein starker Trend in der Presse zum Mainstream

 

Im Gespräch, das aus Anlass des 75-jährigen Bestehens des "Tagesspiegels" stattfand, sprachen beide auch über den gegenwärtigen Zustand der Presse. Schäuble sagte: "Es gibt in der öffentlichen Meinung, auch in der veröffentlichten, schon einen starken Trend zum Mainstream. Das hat mit der unglaublichen Fülle von Informationen und dem Informationswettlauf zu tun. Da wird die Auswahl, welche Nachrichten ich wahrnehme und aufnehme, immer schwieriger. Aber es braucht einen Fokus. Dabei zu helfen, bleibt die Aufgabe der Presse. Sachlich gegen skandalös - man muss versuchen, Widerstandskräfte zu mobilisieren, wenn man da nicht im Mainstream enden möchte." pm, ots

 

English version

 

In an interview with the "Tagesspiegel am Sonntag", Bundestag President Wolfgang Schäuble (CDU) spoke about mistakes in the reunification process.

 

The former Federal German negotiator for the unification treaty said, "We have not put ourselves sufficiently in the position of the people who lived in another part of Germany for 40 years, and also in this other state. We did not sufficiently understand what quite different experiences the East Germans had. He went on to say that you learn as a West German that in 1990 we believed we knew how to do it. Democracy worked wonderfully well for us. 

 

"There are too many do-gooders here"

 

Sabine Bergmann-Pohl (CDU), the president of the first and last freely elected GDR Volkskammer and thus also the last head of state of the vanished country, replied: "You simply have to put yourself in the place of people who previously lived under a cheese cover where the state regulated everything for them. This changed abruptly in 1990, when people were released into freedom and were not prepared for it. But I can no longer hear when people tell me that things should have gone more slowly back then, that people should have been prepared. All nonsense." Referring to the refugee crisis, Bergmann-Pohl told the "Tagesspiegel am Sonntag": "There are good arguments why we cannot take in all refugees. There are so many do-gooders among us who wish for a better and more beautiful world overnight. But we do not live on cloud nine." 

 

A strong trend in the press towards mainstream

 

In the conversation, which took place on the occasion of the 75th anniversary of the "Tagesspiegel", both also talked about the current state of the press. Schäuble said: "There is already a strong trend towards the mainstream in public opinion, including the published one. This has to do with the incredible wealth of information and the information race. So the choice of which news I perceive and record is becoming increasingly difficult. But it needs a focus. Helping to do so remains the task of the press. Factual versus scandalous - one must try to mobilize forces of resistance if one does not want to end up in the mainstream. pm, ots, mei