Offener Brief: Aerolsol-Forscher kritisieren Corona-Politik - Infektionen finden in Innenräumen statt - Ausgangssperren führen in die Irre

Offener Brief 

An die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Angela MerkelDie Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen der Länder

Den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

Die Gesundheitsminister und Gesundheitsministerinnen der Länder

 

Ansteckungsgefahren aus Aerosolwissenschaftlicher Perspektive

 

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel, sehr geehrter Herr Bundesminister Spahn, sehr geehrte Damen und Herren Ministerpräsidenten,sehr geehrte Damen und Herren,

 

die Corona Pandemie lässt uns auch nach mehr als zwölf Monaten nicht los. Sie ist zu einer schweren Belastung für Bürgerinnen und Bürger geworden. Deren Gefühlslage schwankt zwischen Hoffnung und Verzweiflung, wie jeder aus seinem persönlichen Umfeld zu berichten weiß.

 

Wissenschaft macht Hoffnung

 

Hoffnung macht die Wissenschaft: Aus der Aerosolforschung sind vielfältige Erkenntnisse zur Übertragung der SARS-CoV-2 Viren über den Luftweg publiziert worden, zusammengefasst und aufbereitet in einem im Winter 2020 erschienenen Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung. Leider werden bis heute wesentliche Erkenntnisse unserer Forschungsarbeit nicht in praktisches Handeln übersetzt. Stattdessen werden eher symbolische Maßnahmen wie die Maskenpflicht beim Joggen erlassen, die keinen nennenswerten Einfluss auf das Infektionsgeschehen erwarten lassen.

 

Übertragung der Viren in Innenräumen

 

Dabei ist deren zentraler Baustein mittlerweile Konsens in der Wissenschaft: Die Übertragung der SARS-CoV-2 Viren findet fast ausnahmslos in Innenräumen statt. Übertragungen im Freien sind äußerst selten und führen nie zu "Clusterinfektionen", wie das in Innenräumen zu beobachten ist. Zu diesen Gruppeninfektionen gehören bevorzugt Altenheime, Wohnheime, Schulen, Veranstaltungen, Chorproben oder Busfahrten.

 

Öffentliche Debatte bildet nicht wissenschaftlichen Erkenntnisstand ab

 

Wir mussten aber als Aerosolforscher die Erfahrung machen, dass die öffentliche Debatte immer noch nicht den wissenschaftlichen Erkenntnisstand abbildet. Viele Bürgerinnen und Bürger haben deshalb falsche Vorstellungen über das mit dem Virus verbundene Ansteckungspotential. „Draußen ist es gefährlich“, so deren Eindruck nicht zuletzt aus der Berichterstattung über die von der Politik getroffenen Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung. Es werden Treffen in Parks verboten, Rhein- und Mainufer gesperrt, Innenstädte und Ausflugsziele für den Publikumsverkehr abgeriegelt.

 

Ausgangssperren irreführend

 

Auch die aktuell diskutierten Ausgangssperren müssen in diese Aufzählung irreführender Kommunikation aufgenommen werden. Wir teilen das Ziel einer Reduzierung problematischer Kontakte in Innenräumen, aber die Ausgangssperren versprechen mehr als sie halten können. Die heimlichen Treffen in Innenräumen werden damit nicht verhindert, sondern lediglich die Motivation erhöht, sich den staatlichen Anordnungen noch mehr zu entziehen. Die Reduzierung problematischer Kontakte in Innenräumen gelingt deshalb nur mit überzeugenden Argumenten für einen gelingenden Selbstschutz.

 

Drinnen lauert die Gefahr

 

Wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen wollen, müssen wir die Menschen sensibilisieren, dass DRINNEN die Gefahr lauert. In den Wohnungen, in den Büros, in den Klassenräumen, in Wohnanlagen und in Betreuungseinrichtungen müssen Maßnahmen ergriffen werden. Die andauernden Debatten über das Flanieren auf Flusspromenaden, den Aufenthalt in Biergärten, das Joggen oder das Radfahren haben sich längst als kontraproduktiv erwiesen.

 

Pandemie-Müdigkeit nimmt zu

 

Wenn unseren Bürgerinnen und Bürgern alle Formen zwischenmenschlicher Kontakte als gefährlich vermittelt werden, verstärken wir paradoxerweise die überall erkennbare Pandemie-Müdigkeit. Nichts stumpft uns Menschen bekanntlich mehr ab als ein permanenter Alarmzustand. Wir müssen uns deshalb um die Orte kümmern, wo die mit Abstand allermeisten Infektionen passieren - und nicht unsere begrenzten Ressourcen auf die wenigen Promille der Ansteckungen im Freien verschwenden. Dabei lassen sich durch die kluge Koordinierung von Maßnahmen die Übertragungen effektiv reduzieren. Diese sind auch ohne eine naturwissenschaftliche Ausbildung nachvollziehbar: Es sind unsere goldenen Regeln zur Infektionsvermeidung.

 

  • Infektionen finden in Innenräumen statt, deshalb sollten sich möglichst wenige Menschen außerhalb ihres Haushaltes dort treffen. Zusätzlich muss man beachten, dass in Innenräumen auch dann eine Ansteckung stattfindet, wenn man sich nicht direkt mit jemandem trifft, sich aber ein Infektiöser vorher in einem schlecht belüfteten Raum aufgehalten hat!
  • Man sollte die Zeiten der Treffen und die Aufenthaltszeiten in Innenräumen so kurz wie möglich gestalten.
  • Man sollte durch häufiges Stoß- oder Querlüften Bedingungen wie im Freien schaffen.
  • Das Tragen von effektiven Masken ist in Innenräumen nötig. In der Fußgängerzone eine Maske zu tragen, um anschließend im eigenen Wohnzimmer eine Kaffeetafel ohne Maske zu veranstalten, ist nicht das, was wir als Experten unter Infektionsvermeidung verstehen. Dabei ist zu beachten, dass der Dichtsitz der Maske für ihre Effektivität mindestens genauso wichtig ist, wie die Abscheideeffizienz des Materials.
  • Raumluftreiniger und Filter sind überall dort zu installieren, wo Menschen sich länger in geschlossenen Räumen aufhalten müssen (Wohnheime, Schulen, Alten- und Pflegeheime, Betreuungseinrichtungen, Büros und andere Arbeitsplätze).
  • In großen Hallen und Räumen ist die Ansteckungsgefahr viel geringer als in kleinen Versammlungsräumen. Wenn man also wieder Theater, Konzerte, und Gottesdienste stattfinden lassen will, sollte das in großen gut gelüfteten Hallen stattfinden oder wenn möglich ins Freie ausgewichen werden.
  • Die Kombination dieser Maßnahmen führt zum Erfolg. Wird das entsprechend kommuniziert, gewinnen damit die Menschen in dieser schweren Zeit zugleich ein Stück ihrer Bewegungsfreiheit zurück. Wer sich zum Kaffee in der Fußgängerzone trifft, muss niemanden in sein Wohnzimmer einladen. Dort ist die Einhaltung der bekannten Hygieneregeln zu erwarten, zu Hause dagegen nicht. 

Quelle: Gesellschaft für Aerosolforschung

Info Positionspapier: https://www.info.gaef.de/positionspapier

 

English version

 

In an open letter, addressed among others to Chancellor Angela Merkel, the Society for Aerosol Research criticises the German government's corona policy. We document the wording of the letter.Open letter.

 

To the Federal Chancellor of the Federal Republic of Germany, Dr. Angela MerkelThe Minister Presidents of the German Länder

The Federal Minister of Health, Jens Spahn

The Ministers of Health of the Länder

 

Risks of infection from an aerosol science perspective

 

Dear Federal Chancellor Dr. Merkel, Dear Federal Minister Spahn, Dear Prime Ministers of the Federal States

 

The Corona pandemic is still with us after more than twelve months. It has become a heavy burden for citizens. Their emotional state fluctuates between hope and despair, as everyone knows from their personal environment.

 

Science gives hope

 

Hope comes from science: Aerosol research has published a wide range of findings on the transmission of the SARS-CoV-2 viruses via the airways, summarised and edited in a position paper published by the Society for Aerosol Research in winter 2020. Unfortunately, key findings of our research work have not been translated into practical action to date. Instead, rather symbolic measures such as the compulsory wearing of masks when jogging are enacted, which are not expected to have any significant influence on the incidence of infection.

 

Indoor transmission of viruses

 

Yet their central component is now a consensus among scientists: transmission of the SARS-CoV-2 viruses almost invariably takes place indoors. Outdoor transmissions are extremely rare and never lead to "cluster infections" as can be observed indoors. These group infections preferentially include old people's homes, residential homes, schools, events, choir rehearsals or bus trips.

 

Public debate does not reflect scientific knowledge

 

However, as aerosol researchers we had to make the experience that the public debate still does not reflect the scientific state of knowledge. Many citizens therefore have misconceptions about the contagion potential associated with the virus. "It's dangerous outside" is their impression, not least from reporting on the measures taken by politicians to combat the pandemic. Meetings in parks are banned, banks of the Rhine and Main are closed, city centres and tourist destinations are sealed off to the public.

 

Curfews misleading

 

The currently discussed curfews must also be included in this list of misleading communication. We share the goal of reducing problematic indoor contacts, but curfews promise more than they can deliver. They do not prevent clandestine indoor meetings, but only increase the motivation to evade state orders even more. Reducing problematic indoor contacts will therefore only succeed with convincing arguments for successful self-protection.

 

Danger lurks indoors

 

If we want to get the pandemic under control, we must make people aware that the danger lurks INSIDE. Action must be taken in homes, offices, classrooms, apartment complexes and care facilities. The ongoing debates about strolling along river promenades, spending time in beer gardens, jogging or cycling have long since proven counterproductive.

 

Pandemic fatigue on the rise

 

Paradoxically, when our citizens are taught that all forms of interpersonal contact are dangerous, we reinforce the pandemic fatigue that is evident everywhere. As we know, nothing dulls us humans more than a permanent state of alarm. We must therefore take care of the places where by far the most infections happen - and not waste our limited resources on the few per thousand infections in the open. In this context, transmission can be effectively reduced through the clever coordination of measures. These can be understood even without a science education: They are our golden rules for infection prevention.

 

Infections take place indoors, so as few people as possible should meet there outside their households. In addition, one must keep in mind that infection takes place indoors even if one does not meet someone directly, but an infectious person has previously been in a poorly ventilated room!

 

The times of meetings and the times spent indoors should be kept as short as possible.

One should create outdoor-like conditions by frequent shock or cross-ventilation.

 

Wearing effective masks is necessary indoors. Wearing a mask in the pedestrian zone and then having a coffee table in your own living room without a mask is not what we as experts understand by infection prevention. It should be noted that the tight fit of the mask is at least as important for its effectiveness as the separation efficiency of the material.

 

Room air cleaners and filters should be installed wherever people have to stay in enclosed spaces for long periods of time (residential homes, schools, homes for the elderly and nursing homes, care facilities, offices and other workplaces).

 

In large halls and rooms, the risk of infection is much lower than in small assembly rooms. So if you want to hold theatre, concerts and church services again, this should take place in large, well-ventilated halls or, if possible, move outdoors.

 

The combination of these measures leads to success. If this is communicated appropriately, people will also regain some of their freedom of movement during this difficult time. People who meet for coffee in the pedestrian zone do not have to invite anyone into their living room. There, compliance with the known hygiene rules is to be expected, but not at home.  

Source: Society for Aerosol Research