Fehlte der afghanischen Armee der Kampfeswille gegen die Taliban?

US-Präsident Biden und die Bundesregierung machen fehlenden Kampfwillen der afghanischen Armee für den Erfolg der Taliban verantwortlich.

 

Im Interview mit dem Onlineformat STRG_F, das der NDR für funk produziert, widerspricht der ehemalige Kommandeur der US-Streitkräfte in Afghanistan, David Petraeus. "Sie hatten plötzlich keine Rückendeckung mehr", sagt Petraeus mit Blick auf die afghanischen Streitkräfte. "Unsere Luftwaffe war weg". 

 

Er habe als Kommandeur in Afghanistan selbst erlebt, in welch riesiger Anzahl afghanische Sicherheitskräfte kämpften und starben. Nach dem Abzug der US-Luftwaffe sei aber die wichtige Rückendeckung aus der Luft weggefallen. "Wie kann man von Streitkräften erwarten, dass sie kämpfen, wenn sie wissen, dass keiner mehr zur Unterstützung kommt?", so Petraeus.

 

Darstellung von US-Präsident widersprochen

 

Der US-General widerspricht damit der Darstellung von US-Präsident Biden, der die Schuld für den schnellen Erfolg der Taliban auf die afghanische Armee geschoben hatte. "Amerikanische Truppen können und sollten nicht in einem Krieg kämpfen und sterben, den die afghanischen Streitkräfte selbst nicht zu kämpfen gewillt sind", hatte Joe Biden diese Woche gesagt. Auch die Bundesregierung hatte sich dieser Darstellung angeschlossen. Man habe die "Durchhaltefähigkeit und den Durchhaltewillen der der afghanischen Armee falsch eingeschätzt", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die afghanischen Streitkräfte seien nicht bereit gewesen "sich den Taliban entgegenzustellen", so Außenminister Heiko Maas.

 

Aussagen sind bedauerlich

 

US-General Petraeus sagt, er finde die Aussage von Joe Biden bedauerlich. "Die Fakten sind, dass 27 Mal so viele afghanische Sicherheitskräfte im Kampf für ihr Land gestorben sind als US-Amerikaner", so Petraeus. Tatsächlich starben nach Angaben der Brown University 2442 US-Amerikaner und mindestens 66.000 afghanische Sicherheitskräfte in dem 20-jährigen Krieg.

 

Kritik am chaotischen US-Abzug

 

Petraeus war von Juni 2010 bis Juli 2011 Kommandeur der US- und Nato-Streitkräfte in Afghanistan, bevor er CIA-Chef wurde. Er kritisiert die politischen Entscheidungsträger für den chaotischen US-Abzug. "Die Situation, in der sich die afghanischen Streitkräfte als Resultat unserer politischen Entscheidung befanden, war eine ausweglose", so Petraeus. Er selbst und führende Militärs hätten vorgeschlagen, eine geringe Streitkraft mit Drohnen- und Luftunterstützung im Land zu lassen. "Ich glaube, das hätte die jetzige Situation verhindert."

 

Ging nie um den Aufbau eines Staates

 

Petraeus hatte sich in seiner Zeit als Kommandeur dafür eingesetzt, Terrorismusbe-kämpfung mit dem Aufbau eines funktionierenden Staates zu verbinden, dem sogenannten Nation-Building. US-Präsident Joe Biden sagte dagegen diese Woche, es habe bei dem US-Einsatz nie um den Aufbau eines Staates gehen sollen, sondern rein um Terrorismusbekämpfung. Der US-Präsident verbuchte den Afghanistaneinsatz demnach als Erfolg: "Unsere Mission, die Terror-Gefahr von al Quaida zu reduzieren und Osama bin Laden zu töten, war ein Erfolg", so Biden. General Petraeus sagte: "Ich weiß nicht, wie die Machtübernahme der Taliban als positive Entwicklung für die nationale Sicherheit der USA gedeutet werden kann." pm, ots

 

English version

 

US President Biden and the German government blame the Taliban's success on the Afghan army's lack of will to fight.

 

In an interview with the online format STRG_F, produced by NDR for funk, the former commander of the US forces in Afghanistan, David Petraeus, contradicts this. "They suddenly had no backing," Petraeus says, referring to the Afghan forces. "Our air force was gone". 

 

He says that as a commander in Afghanistan, he himself experienced the huge numbers of Afghan security forces fighting and dying. But after the withdrawal of the US air force, he said, vital air support was gone. "How can you expect forces to fight when they know no one is coming to support them anymore?" said Petraeus.

 

US president's account contradicted

 

The US general thus contradicted the account of US President Biden, who had blamed the Afghan army for the Taliban's rapid success. "American troops cannot and should not fight and die in a war that the Afghan forces themselves are unwilling to fight," Joe Biden had said this week. The German government had also echoed this narrative. Government spokesperson Steffen Seibert said that the "ability and willingness of the Afghan army to persevere had been misjudged". The Afghan armed forces had not been prepared "to stand up to the Taliban", said Foreign Minister Heiko Maas.

 

Statements are regrettable

 

US General Petraeus said he found Joe Biden's statement regrettable. "The facts are that 27 times as many Afghan security forces have died fighting for their country than US citizens," Petraeus said. In fact, according to Brown University, 2442 US and at least 66,000 Afghan security forces died in the 20-year war.

 

Criticism of chaotic US withdrawal

 

Petraeus was commander of US and Nato forces in Afghanistan from June 2010 to July 2011 before becoming CIA chief. He criticises policymakers for the chaotic US withdrawal. "The situation the Afghan forces found themselves in as a result of our political decision was a hopeless one," Petraeus said. He himself and senior military leaders had proposed leaving a small force in the country with drone and air support, he said. "I think that would have prevented the current situation."

 

Was never about state-building

 

Petraeus, during his time as commander, had advocated combining counter-terrorism with building a functioning state, so-called nation-building. US President Joe Biden, on the other hand, said this week that the US mission had never been about state-building, but purely about fighting terrorism. Accordingly, the US President chalked up the Afghanistan mission as a success: "Our mission to reduce the terrorist threat from al-Qaida and to kill Osama bin Laden was a success," Biden said. General Petraeus said, "I don't know how the Taliban takeover can be interpreted as a positive development for US national security." pm, ots, mei