Oliver Bierhoff, Direktor Nationalmannschaften beim Deutschen Fußball-Bund (DFB), hat sich im Exklusiv-Interview mit dem stern gegen einen Boykott der Weltmeisterschaft in Katar ausgesprochen.
"Wir glauben an die Kraft des Sports, die Menschen verbindet, Vorurteile abbaut, für Begegnungen und Freundschaften über die Dauer einer Weltmeisterschaft hinaus sorgt. Der Sport hat die Kraft, Brücken zu bauen, im Dialog zu bleiben und Veränderungen anzustoßen, das hat er schon oft bewiesen", sagte Bierhoff im Gespräch. Am Gastgeberland Katar entzündet sich seit längerem Kritik. Die Situation der Gastarbeiter, die Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen - die Liste der Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen ist lang.
15.000 Gastarbeiter ums Leben gekommen?
Jüngst hatte Amnesty International gemeldet, dass seit der WM-Vergabe 15.000 Gastarbeiter ums Leben gekommen sein sollen, der Großteil unter ungeklärten Umständen. Bierhoff sagte dazu: "Wenn diese Zahlen stimmen, sind sie natürlich erschreckend. Hier ist nun die Fifa als Ausrichterin und Organisatorin des Turniers gefordert, für Aufklärung zu sorgen."
Offensiv für Menschenrechte einstehen
Bei der Europameisterschaft im vergangenen Sommer hatte sich die deutsche Nationalmannschaft mit Statements gegen Diskriminierung positioniert. So trug Kapitän Manuel Neuer eine Regenbogenbinde, und das Team setzte mit dem Kniefall ein Zeichen gegen Rassismus. Ob für die WM in Katar ähnliche Aktionen geplant sind, ließ Bierhoff offen: "Das kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sagen, denn der Impuls für solche Aktionen kommt direkt aus der Mannschaft selbst. Wir als DFB diktieren nichts von oben herab, was auch falsch wäre. Wir begleiten solche Prozesse und sorgen für Information und Aufklärung. Ich bin froh, dass wir mündige Spieler haben. Eine sensible Mannschaft, die weiß, dass Fußball mehr ist als nur Sport, und diese Bühne nutzt, um offensiv für Menschenrechte einzutreten."
"Wir spüren alle eine Aufbruchstimmung"
Sportlich sieht Bierhoff die Nationalmannschaft auf einem guten Weg, seit Hansi Flick im August 2021 das Bundestraineramt übernommen hat. "Wir spüren alle eine Aufbruchstimmung und eine Begeisterung für den neuen Weg, den Hansi eingeschlagen hat - auf den Rängen, aber auch auf dem Feld. Vielleicht hat die Mannschaft auch einen Wechsel auf der Cheftrainer-Position gebraucht, damit ihr das Päckchen von den Schultern genommen wird, das sie schon eine Zeit lang mit sich herumschleppt."
Kein großer Abstand zur Weltspitze
Trotz des frühen Ausscheidens des DFB-Teams bei der EM 2021 (0:2 gegen England im Achtelfinale) kann Bierhoff keinen großen Abstand zur Weltspitze erkennen. "Ich sehe uns auf einem hohen Niveau, wir haben Spieler, die in der Champions League bei Bayern München oder ausländischen Vereinen spielen. Frankreich, Spanien, Italien - ich glaube nicht, dass die uns aktuell an die Wand drücken würden", sagte Bierhoff dem stern. pm, ots, Quelle: stern
English version
Oliver Bierhoff, Director of National Teams at the German Football Association (DFB), spoke out against a boycott of the World Cup in Qatar in an exclusive interview with the magazin stern.
"We believe in the power of sport to unite people, to break down prejudices, to ensure encounters and friendships beyond the duration of a World Cup. Sport has the power to build bridges, to stay in dialogue and to initiate change, it has proven that many times," Bierhoff said in the interview. The host country Qatar has been the subject of criticism for some time. The situation of guest workers, discrimination against women and homosexuals - the list of accusations from human rights organisations is long.
15,000 guest workers killed?
Amnesty International recently reported that 15,000 guest workers have died since the World Cup was awarded, the majority under unexplained circumstances. Bierhoff said: "If these figures are true, they are of course frightening. It is now up to Fifa, as the host and organiser of the tournament, to provide clarification."
Stand up for human rights
At the European Championship last summer, the German national team made statements against discrimination. For example, captain Manuel Neuer wore a rainbow armband, and the team sent a signal against racism by kneeling down. Bierhoff did not say whether similar actions are planned for the World Cup in Qatar: "I can't say at the moment, because the impetus for such actions comes directly from the team itself. As the DFB, we don't dictate anything from above, which would also be wrong. We accompany such processes and provide information and clarification. I am glad that we have mature players. A sensitive team that knows that football is more than just sport and uses this stage to stand up offensively for human rights."
"We all feel a spirit of optimism"
In sporting terms, Bierhoff sees the national team on a good path since Hansi Flick took over as national coach in August 2021. "We all feel a spirit of optimism and enthusiasm for the new path Hansi has taken - in the stands, but also on the field. Maybe the team also needed a change in the head coach position to take the baggage off their shoulders that they've been carrying around for a while."
Not a big gap to the world's best
Despite the DFB team's early elimination from the 2021 European Championship (0:2 against England in the round of 16), Bierhoff cannot see a big gap to the world's best. "I see us at a high level, we have players who play in the Champions League with Bayern Munich or foreign clubs. France, Spain, Italy - I don't think they would push us up against the wall at the moment," Bierhoff told stern.
pm, ots, mei, Source: stern