Verteidigungs-Experte: Mit Einmarsch in Ukraine beginnt Putins Ende

Die Ereignisse überschlagen sich. Der Überfall Russlands auf das Nachbarland Ukraine hält die Welt seit einer Woche in Atem. Er hat im Westen zu lange nicht mehr gekannter Geschlossenheit geführt und die Außen- sowie Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland grundlegend verändert.

 

Im Gespräch mit der Westdeutschen Zeitung zeigt sich der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Jürgen Hardt, davon überzeugt, dass Wladimir Putin mit dem Einmarsch in die Ukraine das Ende seiner Herrschaft selbst eingeläutet hat. Am schlechten Zustand der deutschen Bundeswehr gibt er der SPD und deren Fraktionschef Rolf Mützenich die alleinige Schuld.

 

Herr Hardt, die Lage in der Ukraine eskaliert. US-Präsident Joe Biden nennt Wladimir Putin einen russischen Diktator. Sehen Sie die Gefahr eines Flächenbrandes in Europa?

 

Jürgen Hardt: Die Gefahr sehe ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Ich habe allerdings die größte Befürchtung, dass die Krise noch nicht auf ihrem Höhepunkt angelangt sind. Man könnte mit einer gewissen Genugtuung sagen, dass die russischen Streitkräfte nicht so stark sind, wie Putin geglaubt hat. Aber das könnte ihn auch in eine Situation bringen, dass er versucht, beim Einsatz der Waffen zu eskalieren.

 

Er hat ja bereits mit dem Einsatz von Abschreckungs-, vermutlich also Atomwaffen gedroht.

 

Hardt: Anders als in Zeiten des Kalten Krieges, in dem der Einsatz von Atomwaffen nur infrage kam, wenn man auf seinem Territorium bedroht wird, bin ich bei Putin nicht sicher, ob er die atomare Waffe als Erpressung einsetzt, wenn er konventionell die Kapitulation der Ukraine nicht erreicht. Das hieße nicht unbedingt, dass die Atomwaffe zum Einsatz käme. Ich fürchte aber, dass wir nicht ausschließen können, dass Putin dieses Erpressungspotenzial nutzt, das bisher kein Herrscher genutzt hat.

 

Alles deutet darauf hin, dass Russland die Ukraine auch dann nicht beherrschen kann, wenn es Kiew einnimmt. Das wird ein Unruheherd in seinem Russland sein. Versteht Putin das nicht?

 

Hardt: Man kann überhaupt nicht erkennen, dass dieser Überfall auf die Ukraine irgendeinen Nutzen für Russland hat. Russland erleidet einen extremen wirtschaftlichen Schaden. Er überdehnt seine Streitkräfte. Das sehen wir daran, welche enormen Schwierigkeiten die russischen Streitkräfte haben, ein Land wie die Ukraine mit einer deutlich kleineren Armee einzunehmen. Das haben wir vor wenigen Wochen noch nicht so gesehen. Der Mythos russische Armee verschwindet auf den Straßen Kiews. Die komplette Einnahme der Ukraine habe ich aber auch so für unwahrscheinlich gehalten.

 

Was wäre aus Ihrer Sicht das Ergebnis der Besetzung?

 

Hardt: Ein lang anhaltender Guerillakrieg, an dessen Ende Putin die Fahne einrollen müsste. Wenn er es dann nicht selbst macht, dann tut ein anderer das für ihn. Der Überfall auf die Ukraine ist der Anfang vom Ende von Putins Herrschaft. Aber derzeit ist es leider noch so, dass im Kreml in einer Scheinwelt gelebt wird.

Nun spricht die westliche Welt mit einer Stimme und isoliert Russland in jedweder Form. Aber das ist auch ein Ritt auf der Rasierklinge, weil Putin immer unberechenbarer werden kann.

 

Wie bedrohlich ist das für den Westen?

 

Hardt: Die Nato ist entschlossen, jeden Zentimeter Nato-Territorium militärisch zu verteidigen. Ich glaube, dass wir nach den Erfahrungen der letzten Tage nicht die Sorge haben müssen, dass diese Notwendigkeit eintritt. Gleichzeitig müssen wir aber nachrüsten auf ein den Herausforderungen angemessenes Niveau und so dafür sorgen, dass das auch für alle Zeiten ausgeschlossen ist.

 

Aber die Frage ist, was macht der Westen, wenn Putin seine Atomwaffendrohung wahr macht?

 

Hardt: Ein Atombombenangriff auf die Ukraine wäre ein absoluter Tabubruch. Das würde bei uns die Frage nach neuen Abwehrsystemen aufwerfen. Das wäre aber eine mittel- und langfristige Perspektive. Ich glaube, dass der US-amerikanische Präsident da schon eine Antwort hätte. Die Frage ist, wo solche Waffen noch stehen. Wir gehen davon aus, dass sie in Kaliningrad sind, es könnte aber auch sein, dass welche in Syrien stehen, an der östlichen Mittelmeerküste. Dann wäre die Frage, wie die USA mit einer möglichen Bedrohung Südeuropas umgehen. Es bleibt aber dabei, dass die Nato nicht militärisch in den Ukraine-Konflikt eingreifen wird. Deshalb ist das Sanktionsregime die richtige Antwort. Wir stellen schon große Unruhen unter den russischen Oligarchen fest. Es ist die Hoffnung, dass das Umfeld Putins ihm den Stecker zieht.

 

Gibt es noch irgendeine diplomatische Volte, mit der Putin noch gesichtswahrend aus der Sache herauskommt?

 

Hardt: Ich fürchte, solange Putin glaubt, den Krieg gewinnen zu können, gibt es diesen Weg nicht.

 

Die große Unbekannte in diesem Konflikt ist China. Welche Rolle spielt China aus Ihrer Sicht?

 

Hardt: Auch hier hat Putin sich offenbar verrechnet. Im UN-Sicherheitsrat hat China sich zuletzt nicht mehr an die Seite Russlands gestellt, sondern sich enthalten. China ist auch wegen seiner Interessen in Taiwan eher auf der Seite der UN-Charta. Wenn China den Grundsatz territorialer Integrität negiert, könnte sich Taiwan auch von China abspalten. Deshalb hat der Sprecher des chinesischen Außenministeriums seine Besorgnis über den Konflikt in der Ukraine ausgedrückt.

 

Putin hat offenbar den Zusammenhalt des Westens unterschätzt und vielleicht auch den Wechsel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Ampel macht nun, was im Kern Politik der Unionsparteien ist.

 

Hardt: Ich habe vor vier Jahren an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen, in denen wir versucht haben, das Zwei-Prozent-Ziel von Verteidigungsausgaben gemessen am Brutto-Inlandsprodukt durchzusetzen. Das ist an der SPD gescheitert. Wir haben immerhin 1,5 Prozent erreicht. Das war ein Fortschritt, aber weit entfernt von den zwei Prozent.

 

Aber jetzt haben wir die zwei Prozent.

 

Hardt: Während der Regierungserklärung des Bundeskanzlers am Sonntag habe ich in die Augen von SPD- und Grünen-Abgeordneten geschaut und den sicheren Eindruck gewonnen, dass die vom Vorhaben des Bundeskanzlers nichts wussten. Vermutlich hat Scholz die SPD-Fraktion im Unklaren gelassen. Er hat damit Fakten geschaffen. Ich finde es richtig, wir werden ihn als CDU und CSU unterstützen.

 

Brauchen wir die Rückkehr zur Wehrpflicht?

 

Hardt: Ich glaube, die Wehrpflicht früherer Zeiten ist kein geeignetes Instrument. Wir haben die Wehrpflicht damals ausgesetzt, unter dem Beifall der Militärführung. Die hat damals gesagt, es bindet 10.000 Unteroffiziere und Offiziere, die das Rückgrat der Bundeswehr darstellen und sich aber nicht auf Einsätze vorbereiten, sondern mit der Ausbildung von Wehrpflichtigen beschäftigt sind, die wir in einem harten Kampf gar nicht einsetzen können.

 

Und stattdessen?

 

Hardt: Ich glaube, dass wir uns durch kurzzeitdienende Zeitsoldaten einen Stamm an qualifizierten Soldatinnen und Soldaten heranbilden könnten, der dann auch im Zivilleben durch regelmäßige Reserveübungen einen wichtigen Beitrag leistet. Das sollten wir wiederbeleben. Ich kann mir auch Teilzeitsoldaten vorstellen, die im Laufe ihres Berufslebens zu Übungen eingeladen und dafür auch bezahlt und vom Arbeitgeber freigestellt werden. Für den klassischen Wehrpflichtigen haben wir in der Bundeswehr keinen Platz.

 

Was bewirkt es eigentlich in der CDU/CSU, dass Wladimir Putin im Grunde auch der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel eine schallende Ohrfeige für deren Versuch verpasst, Russland durch Handel zum Wandel zu bewegen? Was bedeutet es für die Union, dass Deutschland die Bundeswehr unter unionsgeführten Regierungen kaputtgespart hat? Die CDU hat sich im Grunde eines Markenkerns beraubt.

 

Hardt: Wir haben in den acht Jahren großer Koalition einen hohen Preis bezahlt. Wir hatten einen starken Flügel in der SPD-Fraktion, der, angeführt von Rolf Mützenich, gegen jede Form der Erhöhung von Verteidigungsausgaben war. Deshalb konnten wichtige Zukunftsprojekte, wie die Beschaffung von bewaffneten Drohnen oder die Entwicklung eines neuen Kampfpanzers mit Frankreich nicht angeschoben werden. Auch die Entscheidung für Nachfolge des Tornados konnte nicht gefällt werden. CDU und CSU waren die einzigen Parteien, die das Zwei-Prozent-Ziel explizit im Wahlprogramm hatten und die immer konsequent für die europäische und solidarische Dimension der Rüstung eingetreten sind.

 

Umso erstaunlicher ist nun die Wandlung von SPD und auch der Grünen.

 

Hardt: Ich möchte davor warnen, dass durch die Rede von Olaf Scholz nun alles schon gemacht wäre, was da angekündigt worden ist. Am Sonntag war innerhalb der Regierungskoalition festzustellen, dass nur die FDP zu diesem Ziel gestanden hat. Bei SPD und Grünen haben nicht alle Abgeordneten geklatscht, einzelne Grüne waren sichtlich erschüttert bei dieser Ankündigung, da sind auch Tränen geflossen.

 

Also wird Scholz das nicht alles umsetzen können?

 

Hardt: Olaf Scholz ist an einem schwierigen Punkt. Aber dadurch, dass er jetzt diese Überrumpelungstaktik gegenüber der eigenen Truppe angewendet hat, gibt es jetzt auch eine Aussicht, dass er seine Pläne durchbekommt. Ich bin nicht ohne Hoffnung, dass alles so umgesetzt wird, wie der Kanzler es gesagt hat. Es ist eine zentrale Frage für Deutschland, ob wir jetzt die Kraft aufbringen, das auch zu tun, inklusive der damit verbundenen Mehrbelastungen. Als CDU/CSU werden wir unseren Teil dazu beitragen und uns nicht vor Verantwortung verstecken.

pm, ots, Quelle: Westdeutsche Zeitung