Russland will 1,8 Millionen Tonnen Getreide aus besetzten ukrainischen Gebieten exportieren

Russland beabsichtigt, in diesem Jahr insgesamt knapp 1,8 Millionen Tonnen Getreide aus den besetzten Gebieten in der Ukraine zu exportieren.

 

Rund eine Million Tonnen davon wurden offenbar bereits über Seehäfen der Krim verschifft. Das geht aus russischen Dokumenten hervor, die der Rundfunksender NDR einsehen konnte, sowie aus der Auswertung von Schiffsdaten und Satellitenbildern.

  • Demnach hätten seit Kriegsbeginn rund 20 Schiffe den Hafen Sewastopol auf der Krim mit Weizen und anderem Getreide beladen verlassen. Meist führten die Transporte nach Syrien, Russland oder in die Türkei.

Aus Frachtlisten gehe hervor, dass bis Jahresende noch knapp 40 weitere Lieferungen aus Sewastopol geplant seien.

  • Die vom NDR eingesehenen Listen zeigten die Beladedaten und -mengen auch für zukünftige Fahrten. Das lege nahe, "dass die russischen Besatzer offenbar bereits jetzt die Logistik für den zukünftigen Diebstahl von Getreide organisiert haben", so der NDR in einer Mitteilung.

Sollte es zu den geplanten Exporten kommen, könnte Russland mit den Ausfuhren bei den diesjährigen Weltmarktpreisen rund 600 Millionen US-Dollar erwirtschaften.

 

Der ukrainischen Regierung zufolge entspriche die gestohlene Menge etwa einem Viertel der gesamten Getreideernte in den von Russland besetzten Gebieten.

  • Der stellvertretende Agrarminister der Ukraine, Taras Visotzky, warnte im Gespräch mit dem NDR auch vor den sozialen Folgen für die vom Diebstahl betroffenen Landwirte: "Es ist unglaublich und ein enormes, auch soziales Problem. Es geht um tausende Landwirte."
  • Ukrainische Agrar-Unternehmer hätten berichtet, dass russische Besatzer das Getreide beschlagnahmten, das von Bauern auf der Flucht aus den besetzten Gebieten zurück gelassen wurde. Andere Landwirte würden enteignet oder müssten ihr Getreide zu Dumping-Preisen verkaufen.

Die russischen Transportschiffe stellten ihre Ortungsgeräte bereits vor der Beladung auf der Krim ab. Noch bevor sie die Häfen anlaufen, seien sie deshalb von den Karten der Ortungsdienste verschwunden.

  • So könnten die Zielhäfen der Schiffe nur schwer nachvollzogen werden.
  • Doch durch die Auswertung von Satellitenbildern, den Bildern von Schiffsbeobachtern und den fragmentarischen Transponderdaten ließen sich die Bewegungen der Getreideflotte nachzeichnen.

Mit der Enteignung der Ernte breche Russland womöglich geltendes Völkerrecht, heißt es von Experten.

  • Laut Völkerrechtlerin Paulina Starski von der Universität Freiburg kann die rechtswidrige Aneignung von Getreide in großem Ausmaß, die willkürlich erfolgt und nicht durch militärische Notwendigkeit gedeckt sei, ein Kriegsverbrechen sein.
  • David Crane von der American University in Washington sagte gegenüber dem NDR, es sei genauso grausam, der Zivilbevölkerung durch den Diebstahl die Lebensgrundlage zu entziehen, wie sie mit Raketen oder Artillerie zu beschießen.

Auf NDR-Anfrage teilte die russische Botschaft mit, es sei "unstrittig, dass die Russische Föderation nicht nur den Eigenbedarf an Getreide deckt, sondern auch Exportanfragen aus allen Teilen der Welt entspricht." Allerdings gebe es auf Seiten Russlands keinen Bedarf an ukrainischem Weizen, zumal dieses "dem russischen Produkt in Qualität nachsteht". Die Botschaft Syriens und der Türkei ließen Anfragen unbeantwortet. pm, ots
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